Protasewitsch gibt dem weißrussischen Fernsehen ein langes Interview und nennt seine Hintermänner
Protasewitsch gibt dem weißrussischen Fernsehen ein langes Interview und nennt seine Hintermänner
Protasewitsch hat in dem Interview in allen Details über Interna und Machtkämpfe in der weißrussischen Opposition erzählt, er hat erzählt wer von wem bezahlt wird, wer von wem Anweisungen bekommt und er hat praktisch alle Vorwürfe gegen ihn offen zugegeben. In dem Interview erzählt er zu den Finanzen der Opposition, was er weiß, wobei er immer wieder darauf hinweist, dass er selbst mit den Finanzen der Opposition nichts zu tun hatte, sondern nur mit den Finanzen des von ihm mitgegründeten Telegramkanals Nexta.
Das Interview
Das Interview hat nach Angaben des weißrussischen Fernsehens über vier Stunden gedauert, es wurde jedoch auf knapp eineinhalb Stunden gekürzt, weil dort viel gesagt wurde, was aus ermittlungstechnischen Gründen noch nicht veröffentlicht werden darf. Protasewitsch hat in dem Interview die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zugegeben, es geht dabei um die Vorwürfe, er habe zu den Massenunruhen im letzten Jahr aufgerufen und sie über den Telegramkanal Nexta gesteuert. Er bestreitet hingegen, im Donbass gekämpft zu haben, wie russische und weißrussische Medien gemeldet haben, er bleibt bei seiner Version, er habe dort als freier Journalist gearbeitet.
Außerdem erzählt er immer wieder, dass er in den letzten Monaten Zweifel bekommen hat, dass er in Konflikt mit seinen Mitstreitern geraten ist, weil er – nachdem es im März nicht gelungen ist, die Proteste wieder aufleben zu lassen – der Meinung war, das Spiel sei verloren gewesen. Er behauptet, ihm seien in den letzten Monaten Zweifel gekommen.
Das kann eine Schutzbehauptung sein, weil er natürlich auf Strafmilderung hofft. Andererseits erklärt sich Protasewitsch mit diesen Konflikten, dass er nun geopfert wurde, um als Vorwand für neue Sanktionen gegen Weißrussland zu dienen.
Auch von dem vereitelten Putschversuch hat er gewusst und nach seiner Aussage war er es, der Tichanowskaja angedeutet hat, dass einen gewaltsamen Versuch der Machtübernahme geben könnte. Sie scheint nichts davon gewusst zu haben, dass ihre Berater einen Putsch geplanten hatten.
Es ist kaum möglich, das Interview hier zusammenzufassen, denn es enthielt so viele Details, dass das unmöglich ist. Hinzu kommt, dass da sehr viele Namen aus der weißrussischen Opposition genannt werden, von denen selbst ich nur wenig gehört habe, dem deutschen Leser sind sie komplett unbekannt. Wenn ich versuchen wollte, all die Machtkämpfe – und vor allem die internen Kämpfe um Geld – hier zusammenzufassen, würde das komplett unverständlich und verwirrend werden.
Er hat in dem Interview jedoch mit vielen Namen, Beispielen und Details erzählt, wie die einzelnen Gruppen in der Opposition um die Geldmittel ihrer Sponsoren gekämpft haben. Als wichtigste Sponsoren, die ihm bekannt sind, nennt er Litauen, denn der Staat finanziert Tichanowskaja, stellt ihr Leibwachen, eine Villa und alles zur Verfügung, was sie und ihr Team brauchen. Die in Warschau ansässigen Oppositionsgruppen, zu denen auch der Kanal Nexta oder das „weißrussische Haus“ gehören, werden nach seinen Angaben von Polen finanziert und ausgestattet. Hinzu kommen noch lettische Geschäftsleute, die er jedoch nicht beim Namen nennt. Und dass hinter Tichanowskaja die USA stecken, ist kein Geheimnis, denn ihr wichtigster Berater Franak Viačorka ist Fellow beim Atlantic Councel und hat früher bei den US-amerikanischen Staatsmedien gearbeitet.
Die Opposition hat seine Verhaftung vor seiner Verhaftung gemeldet
Protasewitsch ist im übrigen davon überzeugt, dass er von seinen „Freunden“ geopfert worden ist und dass die Bombendrohung gegen den Ryanair-Flug und die anschließende Landung in Minsk das Werk der Hintermänner der Opposition ist. Der Grund ist leicht zu verstehen: Während noch niemand wusste, dass die Ryanair-Maschine in Minsk gelandet war und Protasewitsch noch im Flughafenterminal auf die Passkontrolle und die zu erwartende Verhaftung wartete, hat Viačorka auf Twitter schon seine Verhaftung in Minsk gemeldet, dazu kommen wir gleich noch.
Die Tatsache, dass Protasewitsch ganz offensichtlich geopfert worden ist, um einen Vorwand für eine neue Medienkampagne gegen Weißrussland und für neue Sanktionen zu bekommen, dürfte ihn dazu veranlasst haben, mit den weißrussischen Ermittlern zusammenzuarbeiten. Erstens dürfte er stinksauer auf seine „Freunde“ sein und zweitens erhofft er sich natürlich Strafmilderung, denn ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Auch wenn die meisten Leser kein Russisch verstehen dürften, verlinke ich hier das Interview. Im Westen wird behauptet, Protasewitsch werde gefoltert und bedroht. Auch ohne Russischkenntnisse kann sich der Zuschauer aber ein Bild von der Körpersprache von Protasewitsch machen und sich fragen, ob er aussieht, wie jemand, der unter Druck gesetzt wird. Dazu soll jeder seine Meinung haben, was man aber deutlich sehen kann ist, dass er die ganze Zeit frei spricht. Am Anfang wirkt er noch angespannt, aber er entspannt sich schnell und mit der Zeit diskutiert er immer angeregter mit dem Journalisten, unterbricht und korrigiert ihn.
Es gab auch einige Überraschungen in dem Interview, so hat Protasewitsch zum Beispiel erzählt, dass auch ein reicher russischer Geschäftsmann die weißrussische Opposition in Polen finanziell unterstützt habe, wobei Protasewitsch spekuliert, dass der Hintergrund ein Machtkampf zwischen russischen Geschäftsleuten war. Man wird abwarten müssen, welche Konsequenzen diese Aussage haben wird, aber dass man sie in Russland sicher interessiert zur Kenntnis genommen hat, darf als sicher gelten.
Das emotionale Ende des Interviews
Am Ende wurde das Interview sehr emotional und musste abgebrochen werden, weil Protasewitsch angefangen hat zu weinen und auch der interviewende Journalist emotional sichtlich mitgenommen war. Der Grund war folgende Frage des Journalisten:
„Lassen Sie uns dieses für uns beide nicht einfache Interview mit einer letzten Frage beenden. Ihre Freundin hat ihrem Anwalt geklagt, dass sie jetzt unter Panikattacken leidet. Sagen Sie mir ehrlich, können Sie sich die Panikattacken der Frauen und Kinder derer vorstellen, die sie ins „Scharzbuch Weißrusslands“ eingetragen hat? (Anm. d. Übers.: Sofia Sapega hat in einem Telegramchat mitgearbeitet, der dazu aufgerufen hat, die persönlichen Daten weißrussischer Polizisten zu veröffentlichen, damit Oppositionelle deren Frauen und Kinder bedrohen können. Das hat Protasewitsch in dem Interview auch bestätigt.)
Können Sie sich die Panikattacken der Leute vorstellen, die dank Ihrer Aufrufe an ungesetzlichen Aktionen teilgenommen haben und die nun ernsthafte Probleme mit dem Gesetz haben? Und zwar begründete, denn als die das getan haben, wussten sie, dass sie gegen das Gesetz verstoßen. Sie haben das getan, weil sie dazu aufgerufen und koordiniert wurden, sie wurden im Grunde mit psychologischen Tricks dazu gebracht.
Sehen Sie Roman, Sie sind jetzt mit Sofia im Urlaub gewesen, haben eine Liebesbeziehung, haben Urlaub und Fotos gemacht.
Uns „Propagandisten“ – wie wir genannt werden – fragt man oft „Schlafen Sie ruhig?“ Und ich sage es ehrlich, es schläft sich nicht gut, denn man möchte nicht schlafen, wenn die Menschen gespalten werden und es nicht klar ist, was aus dem Land wird. Das lässt einen oft nicht schlafen, nicht die Angst, nein.
Und Sie? Wie schlafen Sie? Nach all dem?„
Bei dem Versuch einer Antwort fing Protasewitsch an zu weinen und auch der Journalist war sichtlich mitgenommen, das Interview wurde dann ausgeblendet und endete nicht mit der für so eine Sendung normalen Verabschiedung und dem Abspann. Der Journalist sagte im Nachspann noch:
„Im Grunde habe ich mich heute mit meinem ideologischen Feind getroffen, mit einem Mann der offiziell in die Terrorliste aufgenommen wurde. Aber das Ende des Interviews war emotional völlig unerwartet. Das wird wahrscheinlich viele nachdenklich machen. Das Interview dauerte über vier Stunden, aber leider können wir nicht alle Namen, Ereignisse Fakten vor dem Ende der Ermittlungen offenlegen.„
Das russische Fernsehen hat in den Abendnachrichten, die ausgestrahlt wurden, bevor das Interview veröffentlicht war, auch über den Tag berichtet. In dem Beitrag des russischen Fernsehens ging es auch darum, wie die Opposition die Verhaftung von Protasewitsch schon vor seiner Verhaftung gemeldet hat. Daher habe ich den Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt und da dort auch die Originaltweets auf Englisch gezeigt werden, empfehle ich, den Beitrag des russischen Fernsehensanzuschauen, denn so kann jeder die Aussagen des Beitrages überprüfen.
Beginn der Übersetzung:
Die weißrussische Regierung reagierte auf die Sanktionen Washingtons gegen den petrochemischen Sektor des Landes. Der US-Vertreter in Weißrussland wurde ins Außenministerium gerufen und ihm wurde mitgeteilt, dass das Personal der US-Botschaft reduziert, die Visaverfahren verschärft und USAID die Erlaubnis zur Arbeit in der Republik entzogen wird.
Unterdessen gab Roman Protasewitsch, der Gründer des in Weißrussland als extremistisch eingestuften Telegrammkanals Nexta, eine Erklärung ab. Er glaubt, dass er aufgrund eines Hinweises seiner eigenen Mitstreiter festgenommen worden sein könnte. Protasewitsch gab seine Beteiligung an der Organisation der Unruhen zu. Was könnte die Folge seines unerwarteten Geständnisses sein? Ein Bericht aus Minsk.
Gegenüber der berühmtesten katholischen Kathedrale in Minsk befindet sich das Untersuchungsgefängnis Nummer 1. Hier wurde Roman Protasewitsch nach seiner Verhaftung untergebracht. Von dort berichtete er zunächst, dass er korrekt behandelt werde und dass er bei den Ermittlungen kooperiere. Jetzt sind die ersten Details darüber bekannt geworden, worin diese Zusammenarbeit besteht.
Protasewitsch sitzt in einem geräumigen Büro. Auf dem Tisch vor dem Blogger liegen verstreut Zigaretten, Streichhölzer und eine medizinische Maske. Was ihm zugestoßen ist, ist eine Folge eines kürzlichen Konflikts mit einem anderen Oppositionellen, so Protasewitsch. Aber der Name wird in den Fragmenten des Verhörs, die das weißrussische Fernsehen veröffentlicht hat, nicht erwähnt. (Anm. d. Übers.: In dem Interview, dass später ausgestrahlt wurde, wurden Namen und Details des Konflikts genannt)
„Das einzige Mal, dass ich geschrieben habe, wie und wohin und mit welchem Flugzeug ich fliege, war 40 Minuten vor dem Abflug in einem Arbeits-Chat, zu dem auch diese Person gehört.“, gestand der Oppositionelle. „Eines der ersten Dinge, die ich dachte, war, dass ich eigentlich einfach reingelegt wurde. Weil ich das nie gesagt hatte und sobald ich es gesagt hatte, war ich in Minsk. Und zwar sofort.“
Überwachungskameras haben um 14:35 Uhr aufgezeichnet, wie der Blogger zusammen mit anderen Passagieren im Terminal steht und auf die Pass- und Zollkontrolle wartet. Niemand ist an ihm interessiert, ebenso wenig wie an seiner Freundin. Hier hält sie an, um sich den Schuh zu binden. Doch genau in diesem Moment schlägt Svetlana Tichanowskajas engster Mitarbeiter, Franak Viačorka, auf Twitter bereits Alarm.
„Das Regime hat einen Ryanair-Flug zur Landung gezwungen, um den prominenten weißrussischen Journalisten Roman Protasewitsch zu verhaften. Ihm droht die Todesstrafe.“, twitterte Viačorka um 14.35 Uhr.
Das bedeutet, dass der Blogger erst festgenommen wurde, nachdem die oppositionellen Kanäle begannen, seine Verhaftung zu melden. Dank ihnen wurde – vielleicht sogar den weißrussischen Geheimdiensten – bekannt, dass Protasewitsch am Flughafen in Minsk war.
„Ich hatte eigentlich ein gutes Verhältnis zu Franak Viačorka, aber in weniger als einer Woche hat sich seine Einstellung zu mir ins Gegenteil verkehrt.“, sagte Protasewitsch. „Er sagte sogar den Satz: Wir werden die weitere Zusammenarbeit prüfen müssen.“
Nun ruft eben dieser Viačorka den Westen auf, um einer guten Zukunft für Weißrussland willen nicht mit Sanktionen gegen das Regime zu geizen.
„Sanktionen sind eines der effektivsten Mittel, um daes Ziel zu erreichen.“, sagt Viačorka.
Swetlana Tichanowskaja führt derweil einen substantiellen Dialog mit Europa und den USA über die Frage, welche Bereiche der weißrussischen Wirtschaft von den nächsten Sanktionen betroffen sein werden. Am 3. Juni traf sie sich mit dem polnischen Präsidenten, sie hat Prag und Berlin vor sich, danach Luxemburg und Washington.
„Sie sind bereit, das vierte Sanktionspaket einzuführen und ein fünftes in Betracht zu ziehen.“, versicherte Tichanowskaja.
Das US-Sanktionspaket trat am Donnerstag dem 3. Juni in Kraft. Es betrifft die Schlüsselbereiche der weißrussischen Industrie, die Öl- und Chemieindustrie.
Europa wird seine restriktiven Maßnahmen bis zum 21. Juni beschließen. Weißrussland ist daran gewohnt, unter Sanktionen zu leben, aber einen solchen Druck hat es noch nie gegeben. Präsident Alexander Lukaschenko hat eine Reihe von Treffen zur industriellen Entwicklung abgehalten.
„Auf uns wurde während des Wahlkampfes auch eingeschlagen – ‚ach, auf der Straße sind Demonstranten, aber Lukaschenko beschäftigt sich mit Pappe.‘ Aber das war ein Investitionsprojekt, ein großes Investitionsprojekt, und wir werden diese schönen Schachteln nun selbst herstellen, anstatt Rohstoffe nach Polen zu liefern und dann die fertigen Produkte zu kaufen.“, sagte Lukaschenko.
Im Westen, wo Protasewitschs Fotos in Flughäfen ausgehängt wurden, kommentiert man seine jüngste Aussage nicht. Die regierungsfeindlichen Telegramm-Kanäle ignorierten die Enthüllungen ihres verhafteten Mitstreiters ebenfalls, der am 3. Juni zur besten Sendezeit im weißrussischen Fernsehen mit einem exklusiven Interview gezeigt wird.
Ende der Übersetzung
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