„Nato 2030“ – das freundlich verpackte Programm für den Untergang
Der militärisch-industrielle Sektor der Nato verstärkt seine Anstrengungen, die Militarisierung der Weltpolitik mit der Manipulation der Menschen in ihren Staaten abzusichern. Sie nennen es Sicherheitspolitik, wenn Militärs agieren, obwohl deren Handlungen die Grundlagen des Lebens und des Zusammenlebens untergraben.
Die Sicherheitsbedürfnisse des Lebens erfordern demgegenüber das Zusammenwirken der Bewegungen, die sich für die Zukunft des Lebens und damit auch für ein gerechtes, solidarisches und nachhaltiges Leben heute schon engagieren. Die militärischen, sozialen und ökologischen Zukunftsgefährdungen lassen sich nicht isoliert abwenden. Die Brisanz steigert sich noch, da aus der Wissenschaft zu vernehmen ist, dass uns die Zeit zerrinnt, die noch bleibt, um das rettende Ufer zu erreichen. Von Bernhard Trautvetter.
Somit ist es immer dringender notwendig, dass sich die sozialen Bewegungen als Teil eines großen Ganzen verstehen, dass sie sich vernetzen, die Zusammenhänge ihres jeweiligen Schwerpunktthemas mit denen der anderen sehen und das Gemeinsame in den Vordergrund stellen.
Die Friedens-, die Ökologie-, die Solidaritäts-, die Gewerkschafts- und weitere Bewegungen werden jeweils für sich keinesfalls nachhaltig erreichen, was sie anstreben. Sie können ihrer Verantwortung für die Zukunft der Natur im gefährdeten Lebensraum Erde und selbst auch für ihr jeweiliges Kernanliegen nur gerecht werden, wenn sie das Gemeinsame in den Vordergrund stellen. Dabei haben sie mächtige Gegner.
Ein notwendig nachhaltiges Zusammenspiel der Kräfte setzt ein vernetztes und kritisches Denken voraus: Die Ökologie, das Klima und die Artenvielfalt, eine friedliche Entwicklung sowie die Vielfalt im Miteinander der Gesellschaft wird es nur geben, wenn die Zukunft und die Menschheit friedlich sein werden und wenn die Menschen den martialischen Narrativen der Militärs nicht erliegen. Die Verantwortung der gegenwärtigen Gesellschaft geht – wie das Bundesverfassungsgerichts-Urteil zum Klimaschutz ausdrückt – über die Lebzeit der heutigen Generationen hinaus[1].
Schon eine inhaltliche Verengung eines der Handlungsbereiche wie z.B. dem der Ökologie kann die Wirkung des Engagements abschwächen. Wer bei Ökologie im Wesentlichen das Thema der Klimakatastrophe sieht, läuft Gefahr, dass er z.B. die schädigende Wirkung der industrialisierten Landwirtschaft mit ihren ausgedehnten Monokulturen, die zur chemischen Vergiftung des Humusbodens und zum Rückgang der Insektenpopulation führen, übersieht. Ebenfalls bedenklich ist es, die ökologieschädliche Wirkung des Militärsektors schon in Zeiten ohne einen erklärten Krieg zu übergehen. Dies zeigen die so genannten ‘Interventionen’ der Nato etwa im Balkan, in Staaten zwischen der Golfregion und dem Mittelmeer oder in Nordafrika, in deren Verlauf wiederholt und massenhaft Munition zum Einsatz kam, die mit abgereichertem Uran umhüllt war. Die Militärs nutzen dieses Abfallprodukt von Atomkraftwerken für den Einsatz gegen Bunker und Panzer, weil es ein besonders hartes Material mit hoher Durchschlagskraft ist. Bei Explosionen verbreitet es radioaktiven Feinstaub. Die Menschen im direkten und weiten Umfeld des Kampfgeschehens nehmen Feinstaubpartikel einer tödlichen Radioaktivität über das Trinkwasser und die Luft schleichend auf. Das Material hat eine Halbwertszeit von mehreren Millionen Jahren. Hier alleine zeigt sich, wie stark die einzelnen Themen mit anderen Zukunfts-Herausforderungen zusammenhängen.
Mit Nachrichten-Management als Mittel der Formung der öffentlichen Meinung nutzen Militärs und auch von weitere Spitzenkräfte in Staat und Wirtschaft ihren Einfluss auf das Denken der Menschen in ihrem Einflussbereich, um sie von Widerstand und anderen als radikal diskreditierten Handlungen abzuhalten und um ihren Einfluss auch nach dem Prinzip ‘teile und herrsche’ klein zu halten. Dazu der Medienwissenschaftler der Universität Leipzig Uwe Krüger in seiner von der ZDF-Sendung ‘Die Anstalt’ aufgegriffenen Studie ‘Mainstream’: “Die abweichenden Meinungen und die Hinweise auf Systemfehler und gesellschaftliche Widersprüche finden sich heute zum großen Teil bekämpft vom politisch-medialen Establishment, vor allem … in einer Internet-basierten Gegenöffentlichkeit wieder.”[2] Oberflächlichkeit und eine Sicht, die sich in Teilaspekten des großen Ganzen verliert, kommt ihnen bei dem Bestreben entgegen, eine Art des Denkens zu fördern, die die bestehenden Verhältnisse nicht infrage stellt.
Die Nato wendet für die Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung die Strategie ‘psychologischer Operationen’ erfolgreich an. Sie verfeinert sie mit dem Konzept ‘Strategische Kommunikation’ immer weiter [3].
Als Leitsatz nehmen sie einen Ausspruch von Abraham Lincoln: “Wer die öffentliche Meinung formt … macht Gesetze und Entscheidungen möglich oder unmöglich:” [4]
Empfehlungen zur Formung der öffentlichen Meinung sind zum Beispiel: “Es ist besonders wichtig, dass eine nachhaltige Anstrengung unternommen wird, um Glaubwürdigkeit aufzubauen” [5]. Umgekehrtes gilt für die Berichterstattung über die Gegenseite: Ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität sind zu untergraben [6].
Die Anwendung der Strategischen Manipulation bedeutet, dass sich das Staatenbündnis Nato, von dessen Gebiet die häufigsten und massivsten Völkerrechtsbrüche mindestens seit dem Vietnamkrieg ausgehen, als ‘Wertegemeinschaft’ mit ‘ökologischem’ Anstrich präsentiert [7].
Der Brüsseler Nato-Gipfel vom Juni 2021 folgt genau dem Doppelspiel, Hoch- und Aufrüstung inklusive der nuklearen Arsenale weiterzuentwickeln und gleichzeitig das Militärwesen mit einem ökologisch-demokratischen Mantel freundlich erscheinen zu lassen, sodass auch Grüne und weitere ökologisch motivierte Spektren von Widerstand absehen. Das neue Konzept >Nato 2030< beinhaltet freundliche Aspekte, die auch auf alternative Kräfte eine positive Wirkung entfalten können [8]. So will man “die Vielfalt der Identitäten” fördern [9], und das Konzeptpapier betont die Grundsätze “der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts” [10].
Wie in einer Orwell’schen Sprachverwirrung greift hier eine Wortwahl Raum, die am Ende den Krieg als demokratisch und human verkauft. Denn im gleichen Papier wird eine Strategie geplant, die konventionelle als auch nukleare und hybride Arsenale “an vorderster Stelle der Konsultationen und Entscheidungsfindung” sieht; konkret soll dieser Mix an “Militärkapazitäten” für Konflikte vor allem mit China und Russland bereitgehalten werden [11].
Das Konzept umfasst auch die Strategische Kommunikation: Sie “ist ein wichtiges Instrument der Abschreckung und Verteidigung” [12]. Ohne den Rückhalt breiter Teile der Bevölkerung hat das Militär Probleme, eine solche Strategie durchzuziehen.
Neben die Rivalität mit China und Russland – und teilweise im Zusammenhang damit – treten Pläne und Konzepte bezüglich „militärischer Einsätze, die die Interessen der Verbündeten berühren (wenn operativ möglich)” [13]. Diese Formulierung hebelt das Völkerrecht weiter aus, da hier Militärinterventionen nicht an die UNO-Charta, sondern an Interessen und Möglichkeiten der Nato-Staaten gebunden sind.
Die Nato hält sich diesem Dokument zufolge die Option eines großen Krieges mit mindestens einer Nuklearmacht offen – Russland wird hier explizit benannt: “Die NATO muss weiterhin über angemessene konventionelle und nukleare Militärkapazitäten verfügen und die Beweglichkeit und Flexibilität besitzen, Aggressionen im gesamten Bündnisgebiet zu begegnen, auch dort, wo russische Streitkräfte entweder direkt oder indirekt tätig sind, insbesondere an der Ostflanke der NATO.” [14]
Die strategische Vorarbeit für diese Orientierung könnte ein Bericht zur Großmacht-Konkurrenz, der dem US-Kongress im März 2021 vorlag, geleistet haben. Das auf die Aufrechterhaltung einer Führungsrolle für die US-Armee ausgelegte Papier besagt:
“Die Erneuerung der Großmächtekonkurrenz hat dazu geführt, dass in der US-Verteidigungsplanung erneut der Schwerpunkt auf Fähigkeiten zur Durchführung der so genannten konventionellen Kriegsführung auf höchstem Niveau gelegt wird, d.h. auf eine groß angelegte, hoch-intensive, technologisch hoch entwickelte konventionelle Kriegsführung gegen Gegner mit ähnlich hoch entwickelten militärischen Fähigkeiten. … Die Aufrechterhaltung einer starken nuklearen Abschreckung ist die höchste Modernisierungspriorität in den Nationalen Defense Strategie. Alle drei Beine der nuklearen Triade (Land, Luft und See) werden gleichzeitig modernisiert” [15].
Zur ‘Modernisierungspriorität’ zählt die in der nächsten Legislaturperiode des Bundestags geplante Stationierung von Nuklearsystemen in Büchel bei Koblenz, die die Schwelle zur Eröffnung eines Atomkrieges senken. [16] Diese für Überraschungsangriffe geeigneten Arsenale werden mit ca. 1,5 Billionen Kosten veranschlagt, hinzu kommt das derzeit zur Weiterentwicklung anstehende gigantische EU-Militärprojekt eines integrierten Luftkampfsystems FCAS mit circa der Hälfte dieser Summe [17]. Eine solch immense umfangreiche Verwendung von wertvollsten Ressourcen und von Kreativität für Systeme der Zerstörung, die geeignet sind, der Menschheit eine finale Katastrophe zu bereiten, ist auch dann aus ökologischer und auch aus sozialer Sicht nicht zu verantworten, wenn sie nie zum Einsatz kommen. Trotz der Brisanz der Beschlüsse des letzten Nato-Gipfels ist die Friedensbewegung das einzige Spektrum, aus dem Aufklärung und Protest zu vernehmen sind. [18] Die Kritik der Friedenskooperative folgt dem vernetzten Ansatz, indem sie betont: „Milliarden für Rüstung auszugeben, … ist in Zeiten von Corona und Klimawandel unverantwortlich. Das Geld wird dringend in zivilen Bereichen benötigt.” [19]
Es geht allerdings um mehr als das [20].
Titelbild: Rokas Tenys/shutterstock.com
[«1] bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
[«2] Uwe Krüger, Mainstream, Pfungstadt 2016, S. 128 und zur ZDF-Sendung ‘Die Anstalt’: pressenza.com/de/2019/08/die-anstalt-oder-die-rettung-des-journalismus-vor-dem-mainstream/
[«3] airuniversity.af.edu/Portals/10/AFCSLC/resources/winchester.pdf
[«4] info.publicintelligence.net/NATO-PSYOPS.pdf
[«5] ebenda, S. 74 [Übersetz.: B.T.]
[«6] ebenda, S. 42 [Übersetz.: B.T.]
[«7] zdf.de/nachrichten/politik/nato-gipfel-erklaerung-russland-china-100.htmlund: sdg.iisd.org/news/nato-adopts-climate-change-actions-for-2030/?utm_medium=email&utm_campaign=SDG%20Update%20-%2024%20June%202021&utm_content=SDG%20Update%20-%2024%20June%202021+CID_388ce1e25d0f8e5524139708b46114aa&utm_source=cm&utm_term=Read
[«8] auswaertiges-amt.de/blob/2439466/0852f283a611b62ee0c852a700c4a820/201202-reflexionsgruppe-ergebnisse-arbeitsuebersetzung-data.pdf
[«9] ebenda, S. 67
[«10] ebenda, S. 9
[«11] ebenda, S. 11, S. 26 und S.40f.
[«12] ebenda, S. 52
[«13] ebenda S. 55 Punkt 1. – dort dritter Punkt
[«14] ebenda S. 26 Punkt 4
[«15] news.usni.org/2021/03/09/report-to-congress-on-great-power-competition-and-national-defense-5 [Übersetz.: B.T.]
[«16] Die B 61-12 ist ‘more usable’= gebrauchsfreudiger – Quelle: fas.org/blogs/security/2015/11/b61-12_cartwright/
[«17] imi-online.de/2021/05/06/fcas-kosten-lobby/
[«18] friedenskooperative.de/aktuelles/entscheidung-fuer-multimilliarden-ruestungsprojekt-fcas
[«19] ebenda
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