zondag 17 april 2016

Die USA werden ihre Rolle als Imperium verlieren

Top-Militär: Die USA werden ihre Rolle als Imperium verlieren 

Der ehemalige Stabschef im Pentagon, Lawrence Wilkerson, sieht weder in Russland noch in China eine reale Bedrohung für die USA. Die US-Politik müsse sich von ihrem imperialen Denken verabschieden, weil die Ansprüche nicht mehr finanzierbar sind. Er rechnet allerdings damit, dass die USA unter einer Präsidentin Clinton die Gangart noch einmal verschärfen würden. In ein paar Jahren werde aber der Status Quo nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. 
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US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus, 5. April 2016. (Foto: EPA/JIM LO SCALZO)
US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus, 5. April 2016. (Foto: EPA/JIM LO SCALZO)
Colin Powell bei seinem verhängnisvollen Statement vor dem UN-Sicherheitsrat, am 5. Februar 2003. (Foto: dpa)
Colin Powell bei seinem verhängnisvollen Statement vor dem UN-Sicherheitsrat, am 5. Februar 2003. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es gibt widersprüchliche Aussagen über die aktuelle Situation in Syrien. Wie können wir die aktuelle Situation in diesem Land einordnen?
Lawrence Wilkerson: Wichtige Schritte wurden gemacht, weil Putin Druck auf die syrische Regierung und Obama Druck auf die Oppositionsgruppen ausgeübt haben. Es gibt immer noch einen Waffenstillstand. Washington und Moskau unterstützen eine Übergangsregierung. Aber Assad muss an der Macht bleiben. Die Realität ist, dass Assad immer noch da ist und dass die Armee sowie ein Großteil der Bevölkerung hinter ihm steht. Also, in der Diplomatie, die dem Waffenstillstand folgen und diesen begleiten muss, muss damit gerechnet und erklärt werden, dass Assad ein Teil der Übergangsregierung wird.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es US-Präsident Obama und Russlands Präsident Putin ihr Vorgehen abgestimmt haben. Ist dieser Eindruck richtig?
Lawrence Wilkerson: Das ist eine Einigung, die sich auf eine gemeinsame Kooperation und Gespräche bezieht. Beide Seiten wissen, dass es einen Bedarf an einer Übergangsregierung und die Notwendigkeit, dass Assad ein Teil davon wird, gibt. Es finden Geheimgespräche zwischen Washington und Moskau statt. Beide Seiten wissen, dass der brutale Bürgerkrieg gestoppt, der Flüchtlingsstrom unter Kontrolle bekommen werden und die Geflüchteten zurück in ihre Heimat kehren müssen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was schätzen Sie die Positionen der politischen Entscheidungsträger in Washington mit Blick auf Syrien ein? Beobachten Sie widersprüchliche Ansichten?
Lawrence Wilkerson. (Foto: JM University)
Lawrence Wilkerson. (Foto: JM University)
Lawrence Wilkerson: Wir sahen deutliche Unterschiede in den Ansichten im Verlauf der Atomgespräche mit dem Iran. In der Syrien-Frage ist Hillary Clinton hart und militaristisch, sogar mehr als die Republikaner. Die Republikaner sind in dieser Frage sehr gespalten. Ich denke, das Hauptproblem ist, dass die politischen Zirkel in Washington nicht so sehr darüber nachdenken, was das Beste für Amerika oder Syrien ist, sondern – politisch gesprochen – das Beste für sie ist. In der aktuellen Phase repräsentieren die Republikaner 25 bis 26 Prozent der Bevölkerung. Dasselbe können wir über die Demokraten sagen. Aber 41 bis 42 Prozent der Menschen sind unentschlossen und das Rennen um die Präsidentschaft läuft weiter. Diese Unentschlossenen werden entscheidend sein bei der kommenden Wahl. Dann werden wir auch sehen, welche Ansicht bezüglich Syriens überwiegt – mehr militärische Aktionen, Verhandlungen und Diplomatie, oder etwas anderes. Im Moment ist die Politik des US-Präsidenten diplomatisch ausgerichtet und wird militärisch gestützt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie ordnen Sie den IS ein? Wer steckt dahinter?
Lawrence Wilkerson: Joby Warrick beschreibt in seinem Buch „The Black Flags – The Rise of ISIS“ auf sehr interessante Weise. Der eigentliche „Gründer“ des IS war Abu Musab al-Zarqawi, der 2006 im Irak getötet wurde. Die Wurzeln dieser Organisation gehen auf das Jahr der Irak-Invasion 2003 und auf die Zeit danach zurück. Warrick beschreibt, wie die US-amerikanische Invasion dazu geführt hat, dass al-Zarqawi der Kopf eines riesigen Aufstands im Irak wurde, der zunächst Al-Qaida im Irak genannt wurde und dann der IS wurde.
Der Kern des IS besteht aus ehemaligen irakisch-sunnitischen Offizieren und ehemaligen Mitgliedern der Republikanischen Garde Saddam Husseins. Der IS hat ein globales Ziel und will sich nicht nur mit einem regionalen Kalifat begnügen. Viele junge Menschen schließen sich dem IS an, weil sie keine Zukunftsaussichten haben, oder weil sie bereits im Gefängnis beeinflusst wurden. Viele schließen sich dem IS auch an, weil sie in ihren eigenen Gesellschaften schlecht aufgenommen werden, insbesondere im Westen.
Ich möchte hier betonen, dass wir nicht über einen großen Prozentsatz der muslimischen Welt reden, aber der IS stellt trotzdem eine größere und langfristigere Bedrohung dar, als viele denken. Wir reden hier von Millionen von Sympathisanten und Unterstützern, die die Gewalt des IS zwar nicht gutheißen. Aber sie sind bereit, gegen diejenigen im Westen vorzugehen, die ihren Kampf gegen den IS als einen Kampf des Westens gegen den gesamten Islam darstellen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist Russland eine Bedrohung für die USA oder Europa?
Lawrence Wilkerson: Ich denke, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für den Westen und die ganze Welt ist. Der Klimawandel wird die globalen Konflikte verschärfen und diese werden Auswirkungen auf uns haben. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass der IS in irgendeiner Form von Massenvernichtungswaffen im Westen Gebrauch machen könnte. Was ich beobachte ist, dass je mehr Angriff der IS im Westen durchführt, desto mehr rechte Ideen verbreiten sich im Westen.
Es ist sogar möglich, dass die IS-Angriffe zur Errichtung von Militärdiktaturen und Polizeistaaten im Westen führen werden. Wir befinden uns in einer Phase, mehr und mehr unsere Bürgerrechte und unsere hart erkämpften Freiheiten einzubüßen. Der beste Weg, den IS zu bekämpfen, ist, sich erfolgreich mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen in der Welt zu befassen. Man muss sich mit den Rufen nach besserer Regierungsführung befassen. Man muss die globalen Ressourcen teilen. Man muss sich kooperativ zeigen – etwa so, wie es in der Frage des Klimawandel notwendig ist.
Die zweite große Bedrohung für die USA sind die Amerikaner selbst. Wir sind ein Imperium und wir handeln imperial. Wir wollen die amerikanische Hegemonie um jeden Preis erhalten. Aber diese Bemühungen sind teuer und sie schaffen eine massive Verschuldung. Die USA müssen sich zu einer kooperativen Macht entwickeln. Ich glaube nicht, dass Russland und China echte Bedrohungen sein müssen.
Der Südchinesische-Meer-Konflikt ist eine Frage des internationalen Rechts und sollte auf dieser Basis unter Berücksichtigung des Seerecht-Vertrags und an den Schiedsgerichten gelöst werden.
Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass wir Russland dazu gezwungen haben seine Interessen zu verteidigen, weil wir die Nato direkt in das „Gesicht“ Moskaus verschoben haben. Ich mach Putin für seine Reaktionen in der Ukraine und Georgien keine Vorwürfe. Wir brauchen Russland und Russland braucht uns. Europa braucht Russland und Russland braucht Europa. Wir werden den großen Herausforderungen niemals begegnen können, ohne gemeinsame Anstrengungen anzusetzen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, dass sie russische Intervention in Syrien richtig war?
Lawrence Wilkerson: Ja, das war sie. Die Intervention kam zur richtigen Zeit, weil Syrien der einzige richtige russische Verbündete im Nahen Osten ist. Obwohl bisher alle russischen Verbündeten im Nahen Osten Verbündete einer Zweckdienlichkeit gewesen sind, müssen wir uns über Russlands strategische Bedürfnisse in der Region klar sein. Wir müssen uns auch im Klaren darüber sein, dass der Arabische Frühling – ich nenne es Arabischer Winter – noch nicht vorüber ist. Die Könige und Emire von Bahrain, Saudi-Arabien und Katar und andere sind alle verängstigt. Die Welt verändert sich, und diese Emire und Könige sind auf der falschen Seite der Geschichte. Ihre Tage sind gezählt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Art von US-Regierung können wir nach den bevorstehenden Wahlen zu erwarten?
Lawrence Wilkerson: Hillary Clinton wird wahrscheinlich die US-Präsidentschaftswahl gewinnen. Die aktuelle Politik der USA wird fortgesetzt werden. Clinton wird den Status quo erhalten wollen. Doch sie wird in der US-Außenpolitik weitaus härter agieren. Eine große Veränderung in der US-Außenpolitik erwarte ich nicht. Aus diesem Grund rechne ich damit, dass sie nur eine Präsidentschaftsperiode dienen wird. Danach wird es einen großen Umbruch in den USA geben und die USA wird sich von ihrer Politik der vergangenen 20 Jahre verabschieden. Das wird dann zu einem Bruch mit dem Status quo führen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir beobachten eine Zunahme der anti-muslimischen Töne in der öffentlichen Debatte in den USA. Was bedeutet dies für die Künftige US-Außenpolitik?
Lawrence Wilkerson: Die Islamophobie in diesem Land bereitet mir Sorgen. Frank Gaffney ist einer der Berater von Donald Trump. Das ist verstörend. Wie kann man einem amerikanischen Muslim, der in der Armee seinem Land dient, sagen, er solle sein Land verlassen? Solche Ideen sind nicht amerikanisch. Aber 50 bis 55 Prozent der Amerikaner sind so unglaublich leichtgläubig, dass man ihnen alles unter der Überschrift der Politik der Angst verkaufen kann.
Lawrence WilkersonOberst a. D. des US-Militärs und Stabschef des früheren US-Außenministers Colin Powell, wurde 1945 in South Carolina geboren. Er ist Beirat der Military Religious Freedom Foundation und Gastprofessor am William & Mary College.
Wilkerson war Verfasser der Rede Colin Powells vor der UN im Jahr 2003, die zur Irak-Invasion führte. Die Falsch-Informationen über rollende Biowaffen-Labore, die in die Rede eingearbeitet wurden, kamen von einer Quelle („Curveball“) des Bundesnachrichtendiensts. Wilkerson arbeitete auch Informationen der CIA in die Rede ein, die sich später ebenfalls als falsch erwiesen. Er war sich der Fälschungen bewusst. Nach der Irak-Invasion wurde er zu einem der schärfsten Kritiker der US-Außenpolitik. Seine Mitwirkung an der Powell-Rede bezeichnet Wilkerson heute als „Tiefpunkt seiner Karriere“ und als „schwersten Fehler seines Lebens“.
Aktuell schreibt Wilkerson ein Buch über seine Dienstzeit in der ersten Bush-Administration.


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