GEOPOLITIK
Die eigenen Werte verraten: Das Ende Amerikas als Weltmacht
Die USA verlieren den Nimbus einer Weltmacht. In kurzer Folge konnte die US-Regierung ihre geopolitischen Interessen an mehreren Schauplätzen nicht mehr durchsetzen und musste – mehr oder weniger ungeordnet – den Rückzug antreten. Die nächste Schlappe droht im Jemen. In den USA selbst wächst die Kritik an einer einfallslos-monolithischen Politik-Doktrin.
Der Abstieg der USA als Weltmacht nahm seinen Anfang in Syrien: US-Präsident Barack Obama, von seiner Natur ohnehin eher ein Zauderer, musste den schon geplanten Militärschlag abblasen. Das Militär hatte ihm die Gefolgschaft verweigert, an der Spitze der Generalität gab es eine veritable Meuterei. Das hoch verschuldete Land konnte den Krieg nicht so finanzieren, wie die Amerikaner das gewohnt waren: Mit schnellem Erfolg und möglichst wenigen eigenen Verlusten.
Aus Frustration über das erzwungene Zurückstecken in Syrien suchten sich die treibenden Kräfte hinter der Regierung – Geschäftemacher, Geheimdienste und die Rüstungsindustrie – ein neues Ziel: Viele Spin-Doctores in Washington gaben Russland die Schuld an dem Syrien-Debakel. Sie konnten es nicht verwinden, dass ausgerechnet Wladimir Putin als Stimme der Vernunft im Nahen Osten agierte und gleichzeitig seine eigene Interessens-Sphäre schützen konnte. Eine derartige Rolle als militärischer Dominanz und moralischer Überlegenheit betrachteten die Amerikaner bis dato als ihre Domäne.
Doch auch der neue Kalte Krieg gegen Russland ist für die Amerikaner alles andere als ein Selbstläufer: Zwar gelang es den Hardlinern, die EU in Sanktionen zu zwingen. Doch die Allianz ist brüchig. Die baltischen Staaten und Polen sind die stärksten Befürworter einer Aufrüstung im Osten, weil sie sich Finanzhilfe über die Rüstungsschiene erhoffen. Sie brauchen eine Konjunktur-Belebung, weil in den kommenden Jahren die legendären EU-Förderprogramme auslaufen, die jedem neuen Mitgliedsland für eine gewisse Zeit gewährt werden.
Der Rest der EU-Regierungen ist mittlerweile mehrheitlich gegen die fortgesetzte Konfrontation mit Russland. Die von Russland eingeleiteten Gegen-Sanktionen treffen alle EU-Staaten schwer: Italien, Griechenland, Spanien, die Slowakei, Österreich oder Ungarn können mit ihren Exporten nirgendwohin ausweichen. Die EU ist mit dem Management der Krise überfordert: Sie kann wegen der strukturellen Euro-Probleme keine weiteren Füllhörner öffnen, um die Einnahmeverluste der Staaten zu kompensieren. Mit Federica Mogherini ist zudem eine überraschend resolute Italienerin EU-Außenbeauftragte, die ihr Amt viel deutlicher in Abstimmung mit der Regierung in Rom ausübt als dies von der blassen Britin Lady Ashton der Fall war: Eine Britin mit der EU-Außenpolitik zu beauftragen ist etwa so sinnvoll wie einen Veganer zum Chef eines Schlachthofs zu machen.
Die schwerste Niederlage mussten die Amerikaner jedoch in ihrem Kräftemessen mit China hinnehmen: Angeführt von den sonst stets loyalen Briten sind die Verbündeten reihenweise ins Lager von Peking übergelaufen, als China die Idee von der Gründung einer Entwicklungsbank (AIIB) lancierten. Sogar Australien und Südkorea scherten sich nicht um die Droh- und Verunglimpfungskampagne der Regierung in Washington. Der ehemalige Finanzminister und Harvard-Präsident Larry Summers stellt den Bruch der Verbündeten mit der bis zu diesem Zeitpunkt unstrittigen Finanz-Hegemonie der USA in der Welt in eine Reihe mit historischen Wendepunkten wie der Konferenz von Bretton Woods. Die amerikanischen Eliten, insbesondere an den Universitäten, sind traditionell Freigeister, die sich wenig um die offizielle Linie der Regierung scheren. Sie nehmen sich das Recht der freien Rede in vollem Umfang heraus, eine Tugend, die Amerika überhaupt erst zu einer unangefochtenen Großmacht hat werden lassen.
Die Kritik aus den USA wird vor allem wegen der offensichtlichen wirtschaftlichen Doppelzüngigkeit lauter: Summers schrieb, dass die USA als Weltmacht nicht glaubwürdig seien, weil es der Regierung nicht gelungen sei, die Kluft zwischen Arm und Reich im eigenen Land zu schließen. Die offizielle PR verfängt nicht mehr: Heute ist es schon fast ökonomischer Mainstream, dass das propagierte Job-Wunder in den USA eine reine Chuzpe ist. Die vielen neuen Jobs, die geschaffen werden, sind in Billig-Segmenten in den Dienstleistungsbereichen, wie etwa der Gastronomie. Wegen des niedrigen Ölpreises wurden in den vergangenen Wochen tausende gutbezahlte Arbeiter aus der Energie-Branche entlassen. Ihre Kaufkraft fehlt der amerikanischen Wirtschaft und schwächt die Konsumenten-Großmacht.
Doch auch die Aushöhlung der Bürgerrechte – das traditionell zweite starke Standbein der amerikanischen Demokratie und bisher das Lebenselexier der Zivilgesellschaft – führt zu immer offenerem Widerspruch mit einer hermetischen politischen Elite: Deborah Pearlstein hat auf die groteske Situation hingewiesen, dass die US-Außenpolitik wegen ihres Fundaments in den Anti-Terror-Kriegen zu einer präsidialen One-Man-Show geworden ist. Gene Healy vom renommierten Cato-Institut geht sogar so weit zu sagen, dass die US-Präsidenten im Grunde nichts anderes sind als global agierende War-Lords, und zwar unabhängig von der Partei, die sie an die Spitze gebracht haben.
Ein weitere empfindlicher Rückschlag der US-Außenpolitik zeichnet sich im Jemen ab: Von der europäischen Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, schlittern die Amerikaner als Verbündeter von Saudi-Arabien in das nächste Desaster. Das renommierte Foreign Policy Magazine analysiert die Lage in ungewohnt trockener Weise: Die US-Regierung unterstützt die Saudis mit Waffen, Geheimdiensten und Technologie und läuft Gefahr, in einen unberechenbaren Stellvertreter-Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gezogen zu werden. Über den Ausgang dieser Auseinandersetzung hat die Washington Post keinen Zweifel: Der Jemen werde „zum Vietnam“ der Saudis werden, zitiert das Blatt einen Nahost-Experten. Wenn aber die Saudis in der Region weiter geschwächt werden, trifft es auch die USA. Sie agieren ohne Alternativen oder gar Perspektiven.
Im Jemen sieht man, warum die US-Dominanz in der Welt zu Ende geht – zumindest wenn man unter Dominanz die erfolgreiche Gängelung von Marionetten-Regierungen versteht: Der „Krieg gegen den Terror“ taugt nicht mehr als immerwährende Kriegserklärung. Die Houthis sind Gegner von Al Quaida, und es wird nicht einmal den skrupellosen Propagandisten gelingen, ein direktes Eingreifen von US-Soldaten im Jemen mit diesem Krieg gegen den „Terror“ zu erklären. Schon gegen den Islamischen Staat (IS) zieht das Argument nicht mehr. Ironischerweise kämpfen sowohl die Rebellen im Jemen als auch der IS mit Waffen der Amerikaner gegen die US-Verbündeten, weil es die Amerikaner verabsäumt hatten, für den Nahen Osten einen Masterplan zu entwickeln.
Im Jemen wiederholt sich darüber hinaus ein Muster, das schon den Ukraine-Konflikt für die US-Ambitionen zu einer aussichtslosen Sache gemacht hat: Die territoriale Integrität existierender Staaten ist das eine. Doch dagegen steht das von den UN garantierte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Bei der deutschen Wiedervereinigung und in Jugoslawien haben die USA und die Nato noch genau für dieses Recht gekämpft. Damals war von der territorialen Integrität der DDR oder Jugoslawiens keine Rede.
Im Jemen wird offensichtlich, wie inkonsequent die US-Außenpolitik ist: Die Luftangriffe Saudi-Arabiens gegen den Jemen haben weder die USA noch die EU als Verletzung der territorialen Integrität eines Nachbarstaats angeprangert. Sie haben sich genauso verhalten, wie sie es den Russen in der Ukraine vorwerfen:Ein Nachbar schützt seine Einflusssphäre. Im Fall des Donbass und der Krim heißt das „Aggression“. Die Aktionen der Saudis – einer die Menschen- und Bürgerrechte qua Verfassung nicht akzeptierende Feudal-Theokratie – wird dagegen von „legitimen Sicherheitsinteressen“ gesprochen. Würde die westliche „Wertegemeinschaft“ nicht mit zweierlei Maß messen, hätten die USA und EU über Saudi-Arabien Sanktionen verhängen müssen. Stattdessen liefern europäische und amerikanische Rüstungs-Unternehmen weiter Waffen nach Riad. Diese Waffen werden nun eingesetzt, um im Jemen eine humanitäre Katastrophe zu verschärfen, wie Hilfsorganisationen, auf die keiner hören will, beklagen. Der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Chameini, spricht gar von einem Völkermord.
Die Vormachtstellung der USA in der Welt ist nicht deswegen im Schwinden, weil autoritäre Regime wie jenes der Kommunisten von China oder von Oligarchen beherrschte Systeme wie jenes in Russland bessere Gesellschaftsmodelle anzubieten hätten. Die Schwäche Amerikas in der Welt rührt von der Preisgabe der eigenen moralischen Standards. Selbst wenn die moralische Überlegenheit in den vergangenen Jahrzehnten oft nur eine Projektion unterdrückter Völker gewesen ist: Toleranz, Offenheit und die Möglichkeit, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, waren für die meisten Länder der Welt der Marken-Kern eines Amerika, das man als Verbündeten allen anderen Knechtschafts-Verhältnissen vorgezogen hat.
Summers‘ Kritik der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit trifft die amerikanische Großmacht-Identität daher ebenso im Mark wie die Kritik von Pearlstein und Healy an der von der amerikanischen Verfassung nicht gedeckten Dauer-Kriegserklärung an jeden beliebigen „Feind“.
Mit der anstehenden Präsidentschaftswahl werden sich sowohl Hillary Clinton als auch Jeb Bush als die vermutlich aussichtsreichsten Kandidaten der zwei Lager vor allem mit der innenpolitischen Misere auseinandersetzen müssen. Das offizielle Video von Hillary Clinton, mit dem sie ihre Kandidatur bekanntgab, zeigt die Richtung an – die Kandidaten kündigt an, sie wolle gegen die Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft kämpfen (Video am Anfang des Artikels). Rand Paul, der in vielen Punkten die „System-Frage“ radikaler stellt als seine Mitbewerber, wird nur als Außenseiter reüssieren können. Immerhin werden seine Positionen den Diskurs beleben.
Sowohl Clinton als auch Bush sind allerdings dynastische Kandidaten.Sie werden alle finanziellen Mittel im „old style“ einsetzen, um die Fiktion der Weltmacht aufrechtzuerhalten. Langfristig werden sie sich schon wegen der Schulden-Last, den die kommenden Generationen der Amerikaner schultern müssen, nach der Decke strecken. Die Grenzen der US-Außenpolitik werden in einer multipolaren Welt immer enger werden. Wie die Abkoppelung der Verbündeten im Fall der AIIB zeigt, ist wegen der bevorstehenden wirtschaftlichen Verwerfungen jeder sich selbst der Nächste. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Das werden auch die Geheimdienste und Lobbyisten zu spüren bekommen, die heute als heimliche Herrscher die Macht in Washington usurpiert haben.
Der globale Verteilungskampf wird den USA den Nimbus rauben, von dem sie bis jetzt weltweit ungebrochen profitiert haben. Amerika hat allerdings im Unterschied zu anderen Staaten den großen Vorteil einer freien und kreativen Zivilgesellschaft. Es gibt Anzeichen, dass sich diese Gesellschaft neu formiert, wie der italienische Occupy-Wall-Street-Kenner Franco Beradi analysierthat.
Kampflos werden die Eliten aus dem Bush- oder Clinton-Clan das Feld allerdings nicht räumen. Sie werden alles versuchen, die Maschine am Laufen zu halten. Doch sie stehen einer wachsenden Zahl an Menschen gegenüber – in Amerika und in der Welt – die nichts mehr zu verlieren haben. Der Wandel könnte blutig werden und lange dauern. Aufzuhalten ist er nicht.
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