Der Maidan-Fake
Bis heute verbreiten die Medien Halbwahrheiten und Falschmeldungen über die blutigen Geschehnisse während des Maidan. Teil 2/2.
Redaktionelle Vorbemerkung: Den ersten Teil dieser Analyse von Stefan Korinth lesen Sie hier.
Teil 2: Januar/Februar 2014
Wer beim Ukraine-Konflikt das Wort Separatismus hört, denkt höchstwahrscheinlich sofort an die Krim und den Donbass. Doch als sich erst die Halbinsel und dann die Regionen Donezk und Luhansk nach dem Kiewer Machtwechsel von der Ukraine lossagten, da waren dies nicht die ersten separatistischen Vorgänge rund um den Konflikt.
Faktisch hatten sich bereits im Januar und Februar 2014 — also während des Maidan — große Teile der westlichen Landeshälfte von Kiew losgesagt. Doch während deutsche Leitmedien über die Aufstände und Absetzungsbewegungen der Krim und Teilen der Ostukraine später ausführlich und ultra-kritisch berichteten, fand die vorangegangene de-facto-Abspaltung der Westukraine im Medien-Mainstream quasi nicht statt.
Schlägergruppen stürmen Regierungsgebäude in der Westukraine
Bereits Anfang Dezember 2013 griffen nicht nur in Kiew sondern auch in mehreren westukrainischen Städten Aufständische die öffentlichen Gebäude an und brachten sie teilweise unter ihre Kontrolle. Eine weitere sehr viel größere Erstürmungswelle gab es dann Ende Januar 2014 als in neun der zehn westlich von Kiew gelegenen Oblaste (1) die zentralen Verwaltungsgebäude und Gouverneurssitze gewaltsam besetzt wurden.
Hooligans und Rechtsradikale griffen dabei die zahlenmäßig unterlegenen Polizisten an, die versuchten, die Gebäude zu schützen. Videos wie dieses aus dem südwestukrainischen Tscherniwzi vom 24. Januar 2014 oder dieses aus Winnyzja vom 25. Januar und viele weitere (2) belegen die Abwehrkämpfe.
Diese Karte aus den Ukraine-Analysen der Universität Bremen, Ausgabe Nr. 126, Seite 12, zeigt, wo Regionsverwaltungen bis zum 27. Januar erstürmt wurden.
Bild 1: Diese Karte der Ukraine zeigt den Stand der „Protestaktionen“ am 27. Januar 2014. Beachtlich ist auch die Kartenlegende links unten, aus der hervorgeht, dass die Polizei „gewaltsam“ versuchte, die Blockaden in manchen Regionen zu beenden. Das Adjektiv „gewaltsam“ fehlt aber bei Besetzungen und Blockaden durch Maidankämpfer.
Bild 2: Vermummte Bewaffnete mit Nazi-Symbolik wie der Wolfsangel, am Oberarm des Kämpfers rechts im Bild, marschieren am 19. Februar 2014 durch das westukrainische Luzk; anschließend verprügelten sie den dortigen Gouverneur und zwangen ihn zum Rücktritt (Quelle: Screenshot aus YouTube-Video).
Nach der gewalttätigen Eroberung folgten politische Schritte. Die Gouverneure der Oblaste wurden von Aufständischen zum Rücktritt gezwungen — wie Alexander Baschkalenko in Luzk, der am 19. Februar verprügelt, mit kaltem Wasser übergossen und auf einer Bühne angekettet wurde. Kaum waren die Gouverneure entmachtet, riefen die im Westteil der Ukraine dominierenden Maidanparteien neue politische Institutionen wie „Volksräte“ aus und lehnten jede weitere Gesetzgebungskompetenz des nationalen Parlaments und der gewählten Staatsführung ab.
Selbsternannte Bürgerwehren übernahmen das Gewaltmonopol der Polizei. Kasernen und Grenzübergänge wurden blockiert, teilweise stellten Justiz und Verwaltung die Arbeit ein. Der Bürgermeister Lwiws erklärte beispielsweise am 22. Januar 2014, niemand in seiner Stadt werde die sechs Tage zuvor in Kiew beschlossenen Gesetzesänderungen, von denen in Teil 1 die Rede war, umsetzen.
Westukrainer verbieten Regierungspartei
Nachdem der Maidan schon zuvor willkürlich ein alternatives Nationalparlament und eine Übergangsregierung ausgerufen hatte, erkannten die Regionalparlamente Lwiws, Wolhyniens und Ternopils diese Institutionen an. Treibende Kraft in den Parlamenten war wieder die rechtsradikale Swoboda. Die Regionalparlamente in Iwano-Frankiwsk, Chmelnizky, Poltawa und Ternopil verboten am 26. Januar 2014 sogar die regierende Partei der Regionen und dazu die Kommunistische Partei der Ukraine. Ein durchaus berichtenswerter Vorgang, sollte man meinen. Was täten Medien, wenn in Deutschland vier Landtage von heute auf morgen die CDU zur illegalen Organisation erklärten?
Im Februar 2014 gab es zahlreiche weitere Erstürmungen (3), diese betrafen nun Polizeistationen, militärische Waffendepots und Einrichtungen des Inlandsgeheimdienstes SBU. Rund 1500 Gewehre und 100.000 Schuss Munition sollen die Aufständischen laut dem damaligen SBU-Chef Alexander Jakimenko unter ihre Kontrolle gebracht haben. Am 19. Februar 2014 rief das „Nationalparlament“ in Lwiw sogar die Autonomie aus und Aufständische postierten (4) Panzerabwehrkanonen auf den Straßen.
Für deutsche Medien waren allerdings sowohl diese koordinierten Angriffswellen als auch die folgenden Machtübernahmen und Abspaltungstendenzen bestenfalls Randnotizen. Woran lag das? Waren die westukrainischen Orte zu unwichtig? Kaum zu glauben, denn zum einen fand die Lossagung von Kiew flächendeckend statt. Eine ganze Landeshälfte war betroffen. Zum anderen war sich die ARD Monate später nicht zu schade, in den Hauptnachrichten über die Besetzung einer Polizeiwache in der ostukrainischen Provinzstadt Horliwka zu berichten. Da waren die Stürmenden aber eben keine „Maidan-Revolutionäre“, sondern ostukrainische Aufständische.
„Während es Bezeichnungen wie ‚pro-russischer-Mob‘ in die Nachrichtensendungen schafften, kamen ‚pro-europäische‘ oder ‚pro-ukrainische Mobs‘ nicht vor“, kritisiertMedienwissenschaftlerin Verena Bläser.
Wie unterschiedlich der Umgang mit den Aufständischen im Westen und Osten des Landes war, lässt sich erkennen, wenn man die ganz seltenen Beiträge (5) zur Lage in der Westukraine in ihrem Tonfall mit der späteren Berichterstattung aus der Ostukraine vergleicht:
Während Golineh Atai in diesem Tagesschau-Bericht die Gewalt „pro-russischer Separatisten“ — nicht „ostukrainischer Aufständischer“! — in den Mittelpunkt stellt, kommt bei den westukrainischen Akteuren Monate zuvor nicht deren Gewalttätigkeit, sondern vor allem deren Furcht vor einem Gegenschlag oder ihre Wut auf Janukowitsch zur Sprache.
Während deutschen Medien zufolge „selbsternannte Bürgermeister“ und Separatistenmobs die Krim und den Osten der Ukraine „destabilisierten“, „bürgte“ die „Selbstverteidigungstruppe“ in der Westukraine für Ruhe und Ordnung.
Aus Staatsstreich wird Revolution
Vom 18. bis 22. Februar 2014 eskalierte der Maidan-Konflikt vollends. Die Situation wendete sich komplett. Mehrere hochbrisante Geschehnisse sprechen dafür, dass sich in diesen Tagen ein illegaler Machtwechsel vollzog, ein Staatsstreich in der Ukraine.
So gab es schwere Straßenschlachten mit Dutzenden Toten ab dem 18. Februar. Am 20. Februar ein Massaker bis heute größtenteils immer noch unbekannter Heckenschützen sowohl an Maidankämpfern und harmlosen Helfern als auch an Polizisten. Eine Vereinbarung — unter europäischem Druck am 21. Februar 2014 ausgehandelt — wurde durch die Maidan-„Revolutionäre“ gebrochen.
Schließlich wurde der amtierende Präsident verfassungswidrig entmachtet, das höchste Gericht des Landes ebenso illegal aufgelöst und auf den früheren Ministerpräsidenten Asarow ein Mordanschlag verübt. All diese Aspekte tauchten in der deutschen Berichterstattung jedoch entweder gar nicht oder nur eingebettet in das übliche Gut-und-Böse-Narrativ auf.
Heckenschützen feuern aus ZDF-Zimmer? Nicht so wichtig!
Bis heute äußerst fragwürdig bleibt, warum die Öffentlich-Rechtlichen Sender weder am 20. Februar noch an den Folgetagen berichteten, dass Maidankämpfer auch aus einem Hotelzimmer des ZDF geschossen hatten. Ausführlich habe ich über das Thema bereits 2016 bei Telepolis geschrieben, nachdem ich mit der Kiewer ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert gesprochen hatte. Hatte das ZDF da einige der Todesschützen gefilmt?
Bild 3: Bewaffnete Maidankämpfer feuerten am 20. Februar 2014 aus einem ZDF-Zimmer des Hotel Ukraina in Richtung der Todeszone. Erst zwei Wochen später zeigte der Sender kurz Bilder davon in einem ZDF-Spezial zum Thema Krimkrise (Quelle: Screenshot von Facebook).
Zielrichtung der Heckenschützen war genau die Todeszone auf der Institutska-Straße, wo rund 30 Maidankämpfer erschossen wurden. Auf wen die Bewaffneten aus dem Hotel genau feuerten — ob Polizei oder eigene Leute — bleibt unklar. Das ZDF-Team machte jedenfalls nicht mal den Versuch zu fragen. „Die Presse sollte da nicht mit reingezogen werden“, erklärte Korrespondentin Britta Hilpert damals. Und „die Presse“ hielt sich dran.
„Man kann nur staunen, dass auch nicht eine Zuckung von Recherchewillen durch die Journalisten fuhr, als da Schützen auftauchten und schossen. Wohin nämlich? Wer war das? Die berühmten W-Fragen. Irre, diesen Impuls nicht zu verspüren“, kritisiert Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer auf Anfrage.
„Das Weglassen dessen, was nicht in den Frame passt, kann man mit unbewusstem Reflex nicht erklären — das sind aktive Entscheidungen und die bedeuten, dass man sich einem Narrativ unterwirft, das man als richtig akzeptiert hat. Das ist beunruhigend.“
Der Täter stand sofort fest
Leitmedien hinterfragten in dieser entscheidenden Phase nicht, wer für die Massenmorde verantwortlich war. Wieder übernahmen sie das Narrativ der Maidanführer: Janukowitsch war’s! Spiegel-Autor Benjamin Bidder schrieb etwa, der Präsident habe SBU-Scharfschützen auf Demonstranten „Jagd machen lassen“.
Kein einziger der Korrespondenten — darunter die ZDF-Mitarbeiter Britta Hilpert, Bernhard Lichte und Anne Gellinek sowie ARD-Kollegin Golineh Atai — informierte die Zuschauer bei auch nur einer der zahlreichen Live-Schalten, was da im ZDF-Zimmer passiert war (6). Sind das noch „No News“ oder schon „Fake News“?
Erst zwei Wochen später zeigte das ZDF in einer Sendung nebenbei — und danach nie wieder — einige Sekunden des brisanten Filmmaterials. Korrespondentin Britta Hilpert macht dabei den Eindruck, als begreife sie nicht im Geringsten die Brisanz dieser Bilder.
Weitere Aufnahmen belegen übrigens, dass da noch mehr mit Gewehren bewaffnete Maidankämpfer im Hotel Ukraina unterwegs waren. Mal wieder machte die BBC vor, dass Berichte darüber für westliche Sender kein Tabu sein mussten. Wochen später recherchierte sogar ein Team der ARD-Monitor-Redaktion dazu. Ergebnis: Todesschützen schossen Maidankämpfern vom Hotel Ukraina aus in den Rücken.
Doch dabei blieb es. Der Monitor-Beitrag blieb die Ausnahme. Die Studie des kanadisch-ukrainischen Politikwissenschaftlers Ivan Katchanovski zu dem Massaker ignorierte der Mainstream dann schon wieder komplett.
Direkt auf die Bewaffneten im Hotel angesprochen, reagieren ARD-Korrespondenten bis heute hochallergisch und mit einer krassen Portion Realitätsverweigerung. Maidananhänger als Todesschützen? No News (7).
„Legal, illegal, scheißegal“
Als der Massenmord stattfand, waren gerade der französische Außenminister Laurent Fabius, sein polnischer Amtskollege Radoslaw Sikorski und der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Kiew eingetroffen.
In Verhandlungen mit Staatsführung und Opposition erreichten sie am 21. Februar 2014 eine Vereinbarung zur Beilegung des Konflikts (8). Diese wurde jedoch von Seiten der Maidanpolitiker nicht eingehalten. Während die Polizei abzog, blieb die Maidanarmeebewaffnet vor Ort. Die letzte Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang war gestorben. Für deutsche Medien: No News.
Der radikalisierte Maidan, darunter der Rechte Sektor und bewaffnete Gruppen um Wolodymyr Parasiuk forderten weiterhin Janukowitschs Rücktritt und drohten mit Erstürmung des inzwischen nicht mehr bewachten Präsidentensitzes. Viktor Janukowitsch floh nach Charkiw und wurde tags darauf im ukrainischen Parlament seines Amtes enthoben.
Dass dabei kein einziger durch die Verfassung vorgegebener Schritt des Absetzungsverfahrens eingehalten wurde, war für den hiesigen Mainstream zu diesem Zeitpunkt nicht berichtenswert. Erst Wochen später gab es Interviews mit Experten zur Legalität der Krim-Abspaltung. Beiläufig bestätigten die Juristen dabei auch die illegale Absetzung.
Dass die Abstimmung nicht nur die zur Absetzung nötige Drei-Viertel-Mehrheit verfehlte, sondern zudem auch noch manipuliert war, interessierte die Medien noch weniger. Manipulationen gab es in mindestens zweierlei Hinsicht: Zum einen wurden Pro-Janukowitsch-Parlamentarier vor der Rada von Maidankämpfern eingeschüchtert, einige auch verprügelt.
Zum anderen stimmten zahlreiche Parlamentarier doppelt ab. Laut Protokoll der Werchowna Rada waren an diesem Tag lediglich 248 Abgeordnete im Parlament anwesend. Trotzdem wurden an den elektronischen Stimmpulten 328 Stimmen abgegeben. In diesem Video von der Abstimmung ist deutlich zu sehen, wie mehrere Abgeordnete auch an Tastaturen von Nachbarplätzen abstimmen.
Ein Fall für Amnesty International
Während des Maidan empörten sich deutsche Medien immer wieder über Menschenrechtsverletzungen der ukrainischen Polizei. Massive Menschenrechtsverletzungen der Maidankämpfer gegenüber Polizisten oder politischen Gegnern wurden hingegen nicht skandalisiert.
Ein Beispiel: Am 20. Februar 2014 stoppten bewaffnete Aufständische südlich von Kiew nahe der Kleinstadt Korsun-Shevchenko mehrere Busse mit Janukowitsch-Anhängern, die gerade von Anti-Maidan-Demonstrationen auf dem Heimweg auf die Krim waren. Die Maidankämpfer zwangen die Insassen auszusteigen, schlugen sie zusammen, demolierten die Busse und zündeten mindestens zwei der Fahrzeuge an. Sie erniedrigten und bedrohten die Passagiere, übergossen sie mit Benzin, zwangen sie dazu, Glasscherben mit den Händen aufzusammeln und zu geloben, nie mehr nach Kiew zu kommen. Eigentlich ein Fall für Amnesty International und Human Rights Watch.
Bild 4: Bei Korsun-Shevshenko südlich von Kiew erniedrigten und verprügelten Maidananhänger Dutzende Menschen, die auf dem Rückweg von Anti-Maidan-Protesten waren (Quelle: Screenshot von YouTube, Video inzwischen gelöscht).
Trotz mehrfacher Anfragen konnten die Berliner Pressesprecher von Amnesty International weder bestätigen noch dementieren, ob ihre Organisation etwas über den Vorfall weiß. Stattdessen gab es ausweichende Antworten. Das Berliner Büro von „Human Rights Watch“ reagierte gar nicht erst auf die Presseanfrage.
In Russland ist der Vorfall als „Pogrom von Korsun“ bekannt. Während der deutsche Medien-Mainstream immer wieder betonte, dass der Maidan für Menschenrechte, Demokratie, Toleranz und weitere „europäische Werte“ kämpfe, belegen die Bilder aus Korsuneinen ganz anderen Umgang von Maidankämpfern mit politischen Gegnern aus dem eigenen Land. In Deutschland war der Vorfall: „No News“. In Österreich immerhin verharmloste die Journalistin Jutta Sommerbauer das Ereignis in der Zeitung „Die Presse“ als russischen Mythos.
Dass der Vorfall tatsächlich stattgefunden hat, schreibt aber nicht nur Sommerbauer selbst. Sondern das geht auch aus Filmaufnahmen, aus Zeitungsberichten ukrainischer Medien wie Korrespondent.net oder bigmir.net, die beide zu Petro Poroschenkos Medien-Imperium gehören, und aus Aussagen des Regionalpolitikers Vitali Illyashenko von der Klitschko-Partei Udar hervor.
In deren Berichten ist die Rede von „Tituschki“ — also gedungenen Schlägern — und Berkut-Polizisten, die in den Bussen gesessen hätten und von den „Selbstverteidigungseinheiten“ des Maidan entwaffnet wurden. Die ukrainischen Medien bestätigen, dass zwei Busse ausbrannten, insgesamt seien elf Busse aufgebracht worden. Bigmir.net spricht von einem „Volksgericht für Tituschki“ und dass sich unter den Maidankämpfern auch Jäger mit Schusswaffen befanden. Als Quellen verweisen sie zudem auf YouTube-Videos des Rechten Sektors.
Gab es Todesopfer?
Zahlreiche Augenzeugen unter den Korsun-Opfern sprechen auch davon, dass die Maidankämpfer mehrere der Passagiere mit Messern, Knüppeln und Feuerwaffen getötet hätten. In einer russisch-sprachigen Dokumentation ist von sieben Todesopfern die Rede (9).
Ob es bei dem Vorfall tatsächlich Tote gab, ist anhand des vorliegenden Materials nicht überprüfbar. Auf den Videoaufnahmen sind zumindest keine zu sehen. Weder Amnesty International noch Human Rights Watch antworteten auf die konkrete Frage nach Todesopfern.
Auch deutsche Mainstream-Journalisten sind den Vorwürfen nicht nachgegangen, sie berichteten nicht mal über den Vorfall. Während des Maidan hatten sie zuvor aber immer wieder Stimmung gegen „herangekarrte Gegendemonstranten“ gemacht, obwohl auch der Großteil der Maidandemonstranten per Bus aus anderen Landesteilen nach Kiew gebracht wurde.
Vergessene Fragen
Deutsche Medien haben während des Maidan nicht nur über manche Geschehnisse falsch berichtet oder relevante Ereignisse ganz ignoriert — nein sie haben auch so manche grundlegende Frage nicht gestellt, die sich interessierten Beobachtern durchaus aufdrängten. Etwa: Wer finanzierte eigentlich diesen dreimonatigen Dauerprotest bei Minusgraden (10)?
Oder: Wie kam es dazu, dass in den ersten vier Tagen des Maidan mit Spilno.TV, Espreso.TV und Hromdaske.TV gleich drei aus dem westlichen Ausland finanzierte „Bürgersender“ starteten, die rund um die Uhr von den Protesten berichteten?
Ebenso machte der Mainstream keine nennenswerten Versuche, ukrainische Stimmen außerhalb des Maidans einzufangen. So wurde deutschen Mediennutzern der falsche Eindruck vermittelt, in der Ukraine stehe die große Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Aufstand. Tatsächlich war die Stimmung im Lande gespalten, wie beispielsweise diese Dezember-Umfrage in der Ukraine ergab:
Bild: Die Unterstützung für den Euromaidan in Zahlen (Quelle: Ukraine-Analysen Nr. 126, Seite 13).
Die englischsprachige Kiyv Post schrieb zum Jahresende 2013: „Die Hälfte der Ukrainer unterstützt den Euromaidan nicht“. Doch die Maidangegner kamen in deutschen Medien nur ganz selten vor. Die Stimmenanteile der beiden politischen Lager wurden krass verzerrt.
An der Uni Leipzig wertete die Medienwissenschaftlerin Anna Mundt die Zahl und Länge der O-Töne aus, die Pro-Maidan-Akteure und Maidangegner in öffentlich-rechtlichen Abendnachrichten erhielten (11). Ergebnis: Maidananhänger bekamen in „Tagesschau“ und „Heute“ mehr als viermal so viel Stimmenanteile wie ihre Gegner.
Fünf Jahre „Weiter so!“
Damit soll es genug sein. In zwei Teilen wurden hier Fehlleistungen und blinde Flecke des deutschen Medien-Mainstreams zum Thema Maidan aufgezeigt. Und das waren bei weitem nicht alle. Heute, gut fünf Jahre nach den Ereignissen in der Ukraine, ist eindeutig festzustellen, dass die etablierten Medien den Großteil dieser Fehlleistungen nicht korrigiert haben, sondern — ganz im Gegenteil — weiterhin fleißig am Mythos Maidan schreiben.
Klar wird so, dass es sich damals nicht um Fehler gehandelt hat, die aus reiner Unkenntnis, Schlampigkeit und zu wenig Recherchezeit resultierten. Nein, das Medienversagen geschah mit Vorsatz. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Doch die Diagnose ist eindeutig.
Jeder der Augen hat, kann es sehen. Sehr viele Mediennutzer erkannten die Heuchelei, die doppelten Standards und die Informationslücken schon während des Maidan. Die bis heute anhaltende große „Vertrauenskrise“ begann genau da. Und auch wenn die Medien ihre Legendenbildung noch fünf weitere Jahre betreiben — betrügen werden sie damit kaum jemanden. Nur noch sich selbst.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text ist die überarbeitete Version eines Artikels, den ich vor zwei Jahren während der Crowdfunding-Phase des später gescheiterten Projekts „umatter.news“ geschrieben habe. Diese Website ist inzwischen offline. Der Text ist damit eine Wiederveröffentlichung.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Ein Oblast ist ein Verwaltungsbezirk. Auf Deutschland übertragen entspricht ein Oblast einem Bundesland. Die Ukraine war während des Maidan in 24 Oblaste aufgeteilt. Hinzu kamen die Autonome Republik Krim und die beiden Städte Kiew und Sewastopol mit besonderem Status.
(2) Filmaufnahmen dieser Angriffe in Oblast-Hauptstädten kann man sich bis heute anschauen: Lwiw, Riwne, Schytomyr — alle drei bereits am 23. Januar —, Iwano-Frankiwsk, Chmelnezkyj, Tscherkassy — alle drei am 24. Januar — sowie Poltawa und Tschernihiw am 25. Januar.
(3) Nur einige wenige Video-Beispiele dafür: Ternopil am 18. Februar, Lwiw am 19. Februar, Luzk ebenfalls am 19. Februar genauso wie in Poltawa.
(4) Beachtlich am hier verlinkten taz-Interview ist zum einen, dass darin das Titelbild mit den Kanonen nicht thematisiert wird. Zum anderen ist die Bildunterzeile durchaus bemerkenswert. Wo andere etwas von Kanonen, drohendem Bürgerkrieg oder vielleicht sogar bewaffneten Separatisten schreiben würden. Formuliert die taz: „Staatliche Strukturen funktionieren nicht mehr — Barrikaden in Lviv.“
(5) Zu finden sind ein Interview der taz mit einem Lemberger Bürgerrechtler und ein Bericht der Agentur afp in der Welt ebenfalls aus Lwiw. Zudem berichteten die Tagesthemen am 20. Februar aus Lwiw und zeigten dabei auch kurz Bilder aus Luzk. Alle drei Berichte sind deutlich neutraler bzw. wohlwollender als etwa die zahlreichen späteren Berichte über die Süd- und Ostukraine.
(6) Die ukrainischen Ermittler informierten sie über die Vorfälle übrigens auch nicht, wie mir Britta Hilpert in einem Telefoninterview im Februar 2016 erklärte. „Das ist nicht unsere Aufgabe.“
(7) Eindrucksvoll bestätigt genau dies auch Spiegel TV mit einem Beitrag vom 21. März 2016: „Gefasst: Die Todesschützen vom Kiewer Maidan-Platz“. Die Dokumentation weiß praktisch nichts über Heckenschützen aus Maidangebäuden zu berichten, obwohl diese Tatsache schon lang bekannt ist. Stattdessen behauptet sie: „Hier im Regierungsviertel ließ Präsident Janukowitsch auf sein Volk schießen.“ Der Beitrag gibt die Aussagen der Ermittler wieder, verschweigt aber die massive Kritik daran und erweckt den Eindruck, dass der Fall aufgeklärt sei.
(8) Von der Website des Auswärtigen Amtes ist der Inhalt der Vereinbarung mittlerweile gelöscht worden. (Stand 22. November 2018) Nur die kurze Pressemeldung ist noch erhalten. Bei Wikipedia ist der Inhalt des Dokuments noch nachzulesen.
(9) Die Dokumentation wurde produziert von einer „Information Group on Crimes against the Person“ (IGCP). Ein Kommentator unter dem Video behauptet, in dem Dokumentarfilm seien ganz andere Aufnahmen zu sehen, nämlich gewalttätige Anti-Maidaner, die Maidanunterstützer erniedrigen. Tatsächlich sprechen jedoch die Täter ukrainisch und die Opfer, wie auf der Krim üblich, russisch. Zudem sind die Täter zum Teil in ukrainische Fahnen gewandet und mit den üblichen Utensilien der Maidankämpfer ausgestattet.
(10) Aus journalistischer Sicht sollte es durchaus fragwürdig sein, ob eine bitterarme Bevölkerung allein durch Spenden und freiwilliges Engagement drei Monate lang Nahrungsmittel, Ausrüstung, technisches Equipment, Brennstoffe, medizinische Versorgung, Logistik etc. für tausende Menschen im Herzen der Hauptstadt bereitstellen kann. Im Nachgang wurde klar, dass Oligarchen, die persönliches Interesse an einem Machtwechsel hatten, den Maidan finanzierten — dazu gehörte unter anderem der heutige Präsident Petro Poroschenko. Auch westliche Politstiftungen wie der European Endowment for Democracy und sogenannte NGOs gehörten zu den Geldgebern.
(11) Näheres dazu in einem Vortrag, den der Journalismusforscher Uwe Krüger an der Uni Hamburg hielt ab Minute 36:18.
(2) Filmaufnahmen dieser Angriffe in Oblast-Hauptstädten kann man sich bis heute anschauen: Lwiw, Riwne, Schytomyr — alle drei bereits am 23. Januar —, Iwano-Frankiwsk, Chmelnezkyj, Tscherkassy — alle drei am 24. Januar — sowie Poltawa und Tschernihiw am 25. Januar.
(3) Nur einige wenige Video-Beispiele dafür: Ternopil am 18. Februar, Lwiw am 19. Februar, Luzk ebenfalls am 19. Februar genauso wie in Poltawa.
(4) Beachtlich am hier verlinkten taz-Interview ist zum einen, dass darin das Titelbild mit den Kanonen nicht thematisiert wird. Zum anderen ist die Bildunterzeile durchaus bemerkenswert. Wo andere etwas von Kanonen, drohendem Bürgerkrieg oder vielleicht sogar bewaffneten Separatisten schreiben würden. Formuliert die taz: „Staatliche Strukturen funktionieren nicht mehr — Barrikaden in Lviv.“
(5) Zu finden sind ein Interview der taz mit einem Lemberger Bürgerrechtler und ein Bericht der Agentur afp in der Welt ebenfalls aus Lwiw. Zudem berichteten die Tagesthemen am 20. Februar aus Lwiw und zeigten dabei auch kurz Bilder aus Luzk. Alle drei Berichte sind deutlich neutraler bzw. wohlwollender als etwa die zahlreichen späteren Berichte über die Süd- und Ostukraine.
(6) Die ukrainischen Ermittler informierten sie über die Vorfälle übrigens auch nicht, wie mir Britta Hilpert in einem Telefoninterview im Februar 2016 erklärte. „Das ist nicht unsere Aufgabe.“
(7) Eindrucksvoll bestätigt genau dies auch Spiegel TV mit einem Beitrag vom 21. März 2016: „Gefasst: Die Todesschützen vom Kiewer Maidan-Platz“. Die Dokumentation weiß praktisch nichts über Heckenschützen aus Maidangebäuden zu berichten, obwohl diese Tatsache schon lang bekannt ist. Stattdessen behauptet sie: „Hier im Regierungsviertel ließ Präsident Janukowitsch auf sein Volk schießen.“ Der Beitrag gibt die Aussagen der Ermittler wieder, verschweigt aber die massive Kritik daran und erweckt den Eindruck, dass der Fall aufgeklärt sei.
(8) Von der Website des Auswärtigen Amtes ist der Inhalt der Vereinbarung mittlerweile gelöscht worden. (Stand 22. November 2018) Nur die kurze Pressemeldung ist noch erhalten. Bei Wikipedia ist der Inhalt des Dokuments noch nachzulesen.
(9) Die Dokumentation wurde produziert von einer „Information Group on Crimes against the Person“ (IGCP). Ein Kommentator unter dem Video behauptet, in dem Dokumentarfilm seien ganz andere Aufnahmen zu sehen, nämlich gewalttätige Anti-Maidaner, die Maidanunterstützer erniedrigen. Tatsächlich sprechen jedoch die Täter ukrainisch und die Opfer, wie auf der Krim üblich, russisch. Zudem sind die Täter zum Teil in ukrainische Fahnen gewandet und mit den üblichen Utensilien der Maidankämpfer ausgestattet.
(10) Aus journalistischer Sicht sollte es durchaus fragwürdig sein, ob eine bitterarme Bevölkerung allein durch Spenden und freiwilliges Engagement drei Monate lang Nahrungsmittel, Ausrüstung, technisches Equipment, Brennstoffe, medizinische Versorgung, Logistik etc. für tausende Menschen im Herzen der Hauptstadt bereitstellen kann. Im Nachgang wurde klar, dass Oligarchen, die persönliches Interesse an einem Machtwechsel hatten, den Maidan finanzierten — dazu gehörte unter anderem der heutige Präsident Petro Poroschenko. Auch westliche Politstiftungen wie der European Endowment for Democracy und sogenannte NGOs gehörten zu den Geldgebern.
(11) Näheres dazu in einem Vortrag, den der Journalismusforscher Uwe Krüger an der Uni Hamburg hielt ab Minute 36:18.
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