Israel im Jahr 2018 – Teil 4
Medienberichte, die vielleicht nicht oder aus einem anderen Blickwinkel bekannt sind.
von Jochen Mitschka.
Der erste Teil des Medienspiegels über Israel im Jahr 2018 hatte eine Einleitung und die Monate Januar und Februar beleuchtet. Im Teil 2 folgten die Monate Mai bis Juni. Im dritten Teil stellten wir die Monate Juli und August vor. Im vorliegenden vierten Teil zeigen wir Medienberichte aus dem September und Oktober. Der folgende Text stammt aus einem E-Book(1), das am 18. Dezember im NIBE-Verlag erschien, und versucht das für Israel wichtige Jahr 2018 aus dem Blickwinkel alternativer Medienberichte zu spiegeln.
September
Im September 2018 wurde bekannt, dass die Regierung Israels erklärte, seine Gerichtsbarkeit überall in der Welt durchsetzen zu können, und dass Israel berechtigt wäre, die Souveränität anderer Länder zu verletzten, und dass „es erlaubt ist, die Direktiven des internationalen Rechts in jedem gewünschten Feld zu ignorieren. Dies wurde in einem offiziellen Antwortbrief an das oberste Gericht im letzten Monat geschrieben.“ Ähnlich wie die USA, sieht sich demnach Israel nicht an internationales Recht gebunden. Der ausführliche Artikel endet mit der Bemerkung: „Die Sprache in diesem Brief sollte uns als Weckruf dienen.“(2)
Immer noch im September wurde verbreitet, dass die israelische Regierung ein „Kommandozentrum“ eingerichtet hat, das mit künstlicher Intelligenz „alle Berichte“ in Twitter und Facebook auf „Antisemitismus“ untersucht, und dann Beschwerden in einigen europäischen Ländern bei den zuständigen Behörden veranlasst(3). Das könnte erklären, warum über ein dutzend Links, die ich im Laufe des Jahres gesammelt hatte, am Jahresende nicht mehr verfügbar waren. Aber in Deutschland geht die Suche und Vernichtung von Kritik an der Politik der israelischen Führung noch weiter, und macht auch vor jüdischen Kritikern nicht halt. „In Amtsstuben der Republik, in Landes- und Stadtparlamenten und den verschiedensten Presseorganen, von der taz bis zur WELT, wird die Evangelische Akademie von Philosemiten und Freunden Israels als antisemitisch verleumdet und eine kritische Tagung, bei der es um Dialog und Verständnis ging, als ein „Happening der Israelkritiker“ diffamiert.“(4)
Am 26. September folgte dann die Meldung, dass über zweitausend Palästinensern der Zutritt zu Israel verweigert wurde, weil sie den gleichen Nachnamen hatten, wie jemand, der ein Verbrechen begangen hatte(5). Man musste also gar nicht Aktivist oder Befürworter der Boykottbewegung sein, mit der völkerrechtswidrige Verkäufe von in den besetzten Gebieten produzierte Waren verhindert werden sollen.
Auch im September wurde das Ergebnis einer Umfrage unter Israeli bekannt: „56 Prozent der Israeli glauben, dass die Juden ein von Gott auserwähltes Volk sind. Das ergab eine Umfrage der israelischen Tageszeitung Haaretz(6). Von jenen Israelis, die sich selber zu den politisch Rechten zählen, sind es sogar 79 Prozent. (…) Das Resultat dieser Umfrage müsste, so würde man erwarten, auch international ein Echo auslösen. Hat es aber nicht. Zumindest nicht im deutschsprachigen Raum.“ (7)
In einem Artikel in Foreign Policy erklärte Dalia Hatuqa, dass Amerika für die Palästinenser noch nie ein ehrlicher Vermittler gewesen wäre. „Die Politik der Trump-Regierung bedeutet keine radikale Änderung. Das Weiße Haus hat lediglich die Fassade der Neutralität abgelegt und die Agenda der Regierung Israels bestätigt.“(8)
Oktober
In „The Nation“ erschien im Oktober ein Leitartikel mit dem Titel „Für Gerechtigkeit, nicht Apartheid in Palästina – Ein Vierteljahrhundert nach Oslo konsolidiert Israel seine Dominanz – aber der globale Widerstand wächst“. Dort heißt es zum Beispiel zum neuen Nationalitäten-Gesetz: „Wie Rashid Khalidi auf TheNation.com betont, ist das Ergebnis ein Gesetz, das die Existenz von Palästinensern und ihre nationalen Rechte überall in Palästina abstreitet, und das eben nicht nur innerhalb der unendlich elastischen Grenzen des israelischen Staates. Wie Khalidi auch feststellt, ist Apartheid vielleicht eine passende Beschreibung für die derzeitige Ordnung, aber in Gaza sieht der Plan eher nach Vernichtung aus.“(9)
Der UNO Sonderberichterstatter für die besetzten palästinensischen Gebiete, Michael Lynk, warf ebenfalls Anfang Oktober der zionistischen Regierung Israels Kriegsverbrechen vor. „Lynk bezeichnete am Dienstag die anhaltende Tötung der palästinensischen Demonstranten an der Gaza-Grenze durch zionistische Militärs als eine permanente Beleidigung der Menschenrechte sowie der Würde und Ehre der Menschheit.“(10)Der Berichterstatter erklärte, dass keiner der Getöteten oder Verwundeten an der Gaza-Grenze eine Gefahr für die israelischen Militärs dargestellt hätte.
Und als ein Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel in Israel anstand, warnte eine Ministerin Israels davor, sich einzumischen. „Regev äußerte sich mit Blick auf den Streit um die Beduinensiedlung Chan al-Ahmar, die auf Geheiß der israelischen Regierung abgerissen werden soll. Am Mittwoch hatten Bewohner vor der deutschen Vertretung in den Palästinensergebieten demonstriert und um Merkels Unterstützung gebeten. Deutschland zählt zu mehreren EU-Ländern, die Israel gebeten haben, auf den Abriss zu verzichten.“(11)
Während die Macht der AIPAC in den USA ungebrochen die Politik des Landes mitbestimmte, brach eine republikanische Abgeordnete, Betty McCollum aus, und widersprach der Propaganda der Lobby-Organisation. „McCollum prangerte Israels „brutale“ und „grausame“ Politik der Inhaftierung und Folterung von Kindern an, was sie versucht hatte, durch einen bahnbrechenden Gesetzentwurf mit Sanktionen zu belegen, wodurch die US-Hilfe für solche Praktiken beendet werden sollte. Sie sagte, dass es nicht antisemitisch wäre, Israel zu kritisieren: „Warum kann ich eine ausländische Regierung für die Misshandlung einer gesamten Bevölkerung, die unter ihrer Kontrolle steht, nicht zur Verantwortung ziehen?“(12) Auch ihrer Meinung nach stellte das neue Nationalitäten-Gesetz die offizielle Deklaration eines Apartheidstaates dar. Sie betonte, dass natürlich die Bürger Israels es verdienten, in Sicherheit zu leben. „Aber die Inhaftierung, Misshandlung, Traumatisierung einer weiteren Generation von palästinensischen Kindern im Namen der Sicherheit – das ist eine Lüge.“ Es war eine beeindruckende Rede, deren Würdigung den Rahmen dieses Essays sprengen würde.
Am Freitag, den 12. Oktober erschien in Rubikon ein Artikel über Israel „Der Apartheid-Staat“. „Seit Jahren diskriminiert die israelische Politik nicht-jüdische Bürger und Menschen in besetzten Gebieten. Dies zu sagen, traut sich kaum ein deutscher Politiker. Und wer es wagt, steht schnell allein da. Nun hat das Parlament Israels ein neues Grundgesetz erlassen, das diese Diskriminierung zementiert. Die Politik der Vertreibung, Tötung und ethnischen Säuberungen könnten also jetzt neue Ausmaße annehmen, wenn die Politiker der westlichen Welt weiter wegschauen. (…) Dugard erklärte, dass er im Zeitraum von sieben Jahren die palästinensischen Territorien zweimal jährlich besucht hatte. Dass er andererseits auch die Situation in Südafrika während der Apartheid gut kennt, da er damals dort als Menschenrechtsanwalt gearbeitet hatte. „Außerdem“, so führte er in dem Interview aus, „hätte jeder Südafrikaner, der die besetzten Gebiete besucht hatte, erklärt, ein furchtbares Gefühl des Déjà Vu erfahren zu haben, nur dass es diesmal noch unendlich schlimmer wäre.“ Für ihn agierten die Siedler im gleichen Geiste wie die weißen Südafrikaner während der Apartheid in Südafrika“.(13)
Im Oktober wurden wieder Zerstörungen von Olivenbäumen im Norden von Ramallah gemeldet. Wieder hatten jüdische Siedler alte Olivenbäume zerstört, die die Lebensgrundlage für Palästinenser darstellten(14). Die Vernichtung der palästinensischen Wirtschaft ist seit Jahrzehnten zu beobachten. Schon in dem Bericht „The economic costs of the Iraeli occupation for the occupied Palestinian territory“ vom Palästinensischen Ministerium für Wirtschaft, erstellt in Zusammenarbeit mit dem „Applied Research Institute Jerusalem (ARIJ)“ von September 2011, wurde deutlich gemacht, wie die palästinensische Wirtschaft durch die Besatzung systematisch zerstört und unterdrückt wurde. Der Bericht schrieb schon in der Einleitung: „Wie kürzlich auch von internationalen Wirtschaftsorganisationen, darunter die Weltbank, UNCTAD und das IMF, festgestellt wurde, sind die Restriktionen [Anmerkung des Übersetzers: durch Israel] das Haupthemmnis für die Aussicht auf eine nachhaltige palästinensische Wirtschaft“.xv
Aber nicht nur die Menschen litten unter der Besatzung. Der Bericht stellte schon 2011 fest, dass seit 1967 ca. 2,5 Millionen Bäume gefällt worden wären. „Die israelische Politik, die Bäume zu fällen, war aus verschiedenen Gründen durchgeführt worden. Darunter das Platzschaffen für israelische Siedlungen, der Bau einer Mauer, und der Bau von Infrastruktur für die israelischen Siedlungen. Der größte Teil der gefällten Bäume waren solche, die hoch produktiv waren und Früchte getragen hatten. Durch ihr Fällen wurden Palästinensern wesentliche Einnahmequellen entzogen.“ Der Bericht schätzte den wirtschaftlichen Schaden durch die gefällten Bäume auf ca. 138 Millionen US-Dollar pro Jahr. Nicht zu reden von den sozialen und Folgen und Umweltauswirkungen. Und wie man im Oktober 2018 sah, ging diese Politik unverändert weiter.
Anfang Oktober wurde bekannt, dass als Antwort auf die Demonstrationen an der Gaza-Grenze auch eine mobile Erste-Hilfe-Station in Gaza durch Israel zerstört worden war. Der Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums erklärte, dass Israel eine provisorische Klinik in Khuza’a, im Osten der Provinz Khan Younis, südlich von Gaza, durch Mörsergranaten zerstört hatte(16).
Zur gleichen Zeit wurden während Kommunalwahlen rassenhetzerische Wahlplakate der regierenden Likud-Partei von Premierminister Netanjahu bekannt. Die Plakate erklärten „Wir oder sie“, was suggestiv aussagen sollte, dass Jaffa entweder eine hebräische Stadt sein konnte, oder von einer „islamistischen Bewegung“ übernommen werden würde. Die Anzeigen erschienen in unterschiedlichen Ausprägungen, in allen Fällen mit rassistischen Gefühlen spielend. „Der Begriff „islamistische Bewegung“ soll als Referenz auf Palästinenser im Allgemeinen verstanden werden, jene, die die meisten Israelis „Araber“ nennen würden. Mit einfachen Worten erklärt, spielt die Likud-Partei das beliebte rassistische Spiel „Juden gegen Araber“. Wir kennen das aus Netanjahus Erklärungen aus dem Jahr 2015, mit denen er angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen warnte, dass die „Araber“ kämen, um „als Herde“ zu wählen.“(17) Der Artikel erklärte, dass Netanjahu im letzten Jahr eine Reise durch den Süden von Tel-Aviv gemacht hätte, in der er versprach, den Israelis wieder das Land zurück zu geben, dass sich nun in den Händen afrikanischer Eindringlinge befinden würde. Er reiste zusammen mit der Kulturministerin Miri Regev, die 2012 afrikanische Flüchtlinge als „Krebsgeschwüre in unserem Körper“ bezeichnet hatte.
Anfang Oktober wurde bekannt, dass israelische Scharfschützen alleine an einem Tag 126 Palästinenser in Gaza erschossen hatten, darunter einen 12-jährigen Jungen und 376 verwundeten, darunter 30 Kinder(18). Die Demonstrationen an der Grenze dauerten nun bereits seit dem 30. März an. Kinder wurden durch Gasgranaten am Kopf getroffen und lebensgefährlich verwundet(19).
Und um die kollektive Bestrafung der Bevölkerung des Gaza-Streifens zu verstärken, wurde der Bereich, in dem palästinensische Fischer noch Fische fangen dürfen um weitere 33% eingeschränkt(20). Weitere Bestrafungen durch die israelische Besatzungsmacht wurden angekündigt.
Auch Anfang Oktober wurde ein Video veröffentlicht, das zeigte, wie der palästinensische Journalist Doaa Zourob erschossen wurde, während er über die Demonstrationen in Gaza berichtete(21). Im gleichen Zeitraum erschienen Videoaufnahmen im Internet, die aufzeigten, wie Bauern in Gaza beim Einholen der Ernte unter Beschuss gerieten, obwohl mit Lautsprechern auf die Erntearbeit aufmerksam gemacht worden war und die Menschen gelbe Westen trugen, um sich deutlich erkennbar zu machen(22). Dies war kein Einzelfall. Bauern kamen aus von Israel besetzten Gebieten außerhalb des Gaza-Streifens systematisch unter Feuer.
Der Oktober war der Monat, in dem auch Vertreter der zionistischen Idee ihre Meinung änderten, nachdem sie selbst die Brutalität der Besatzung erlebt hatten. In einer bewegenden Rede erklärt Anna Baltzer, warum es keine Neutralität mehr geben kann, wenn man die Realität des Besatzungsregimes erlebt hat(23). Und in London verbrannten orthodoxe Juden die Flagge Israels, weil sie die Politik des zionistischen Systems als eine Gefahr für das Judentum als Ganzes ansehen(24).
Am 9. Oktober wurde wieder einmal von der Zerstörung des Hauses einer palästinensischen Familie durch die Besatzer-Verwaltung Israels berichtet(25). Aber es war nur eines in einer fortwährenden Reihe. So wurden am 10. Oktober weitere 24 Palästinenser heimatlos weil ihre Häuser zerstört wurden(26). Derweil wurden in Israel T-Shirts verkauft, die sich über die Erschießung von schwangeren Palästinenserinnen lustig machten, weil man „mit einem Schuss zwei töten kann“(27).
In der Zwischenzeit beklagte sich die rechtsextreme Justiz-Ministerin Ayelet Shaked, dass die „Democrat Party“ der USA immer weniger wäre, was man als zionistisch bezeichnen würde. Sie setzt sich für die Annektierung der palästinensischen Westbank ein und erklärte, dass Israel von der Bevölkerung einen Teil in Höhe von 100.000 Menschen die israelische Staatsbürgerschaft geben könnte. Was mit den restlichen 200.000 Menschen passieren soll, blieb offen, sollte aber nicht schwer zu erraten sein(28).
Als absehbar war, dass Syrien die Terroristen an der Grenze zu den von Israel besetzten Gebieten besiegen würde, forderte Israel die Anerkennung der besetzten syrischen Golanhöhen als von Israel annektiert. Dies wurde von Russland und den meisten Ländern der Welt abgelehnt(29).
Auch im Oktober, obwohl inzwischen das Filmen und Fotografieren von Sicherheitskräften während ihren Aktionen verboten war, erschienen im Internet Aufnahmen, zum Beispiel die Behandlung von Kindern durch die Besatzungskräfte zeigend(30). Was auch Evelyn Hecht-Galinski in Deutschland zum Thema machte(31).
Nachdem während eines Luftangriffes der israelischen Luftwaffe auf Ziele in Syrien versehentlich ein russisches Aufklärungsflugzeug, hinter dem sich israelische Jets in Deckung begeben hatten, durch syrische Luftabwehrbatterien abgeschossen worden war, hatte Russland die Modernisierung der syrischen Luftabwehr intensiviert. Dazu gehörte auch eine Lieferung modernisierter S-300 Abwehrraketen.
Am 11. Oktober wurde dann bekannt, dass der Generaldirektor des israelischen Außenministeriums Juval Rotem dem US-Außenminister Pompeo für seine öffentliche Anerkennung des israelischen Rechts auf Durchführung einer Offensive gegen proiranische paramilitärische Einheiten in Syrien dankte. „In den vergangenen zwei Jahren haben die Israelis nach eigenen Berechnungen zweihundert iranische Militärobjekte im Nachbarland attackiert. Nach dem tragischen Vorfall mit dem russischen Aufklärungsflugzeug Il-20 setzt Jerusalem trotz Verstärkung der syrischen Luftverteidigung durch russische Flugabwehrraketensysteme S-300 auf weitere Luftangriffe.“(32) Ein Angriff des Irans oder Syriens auf Israel war bis dahin nicht bekannt geworden.
Derweil wurde verbreitet, dass ein Nobelpreisträger des Jahres 2018, George P. Smith ein langjähriger Vertreter palästinensischer Rechte und Unterstützer der BDS-Bewegung war(33).
Nun hatte ein Gericht zwei Aktivisten aus Neuseeland verurteilt, Schadenersatz zu zahlen, weil sie in einem offenen Brief die Sängerin Lorde überzeugt hatten, ihre Show in Tel Aviv abzusagen. Darauf antworteten die Verurteilten: „Der Rat unserer neuseeländischen Rechtsexperten ist klar: „Israel hat kein Recht, die politische Meinung von Menschen in der ganzen Welt zu verfolgen“(34).
Und wieder fand eine Demonstration an der Gaza-Grenze statt, bei der sechs Palästinenser erschossen und 252 verwundet wurden, meldete China Daily am 12. Oktober(35). Einen Tag später wurde die Ermordung einer Mutter von zwei Kindern durch israelische Siedler bekannt(36). Die getötete Aisha Rabi, 45, war die Schwester eines bereits früher von israelischen Besatzungskräften getöteten Palästinensers. Es gibt praktisch keine Familie in Palästina, die nicht von ähnlichen Schicksalen berichten kann. In der Regel erfolgt keine ernsthafte Strafverfolgung. Und wenn in sozialen Medien unwiderlegbare Beweise auftauchen, erfolgt eine milde Bestrafung, die meist durch einen Gnadenerlass noch einmal reduziert wird.
Immer noch im Oktober erschien ein Artikel in Deutschland, über „Die Hochzeit, die angeblich die jüdische Dynastie bedroht“. Weil sie Muslima ist und er Jude, durfte das Paar nicht in Israel heiraten. Sie wagten es aber trotzdem und zogen den Zorn rechter israelischer Politiker auf sich.
„Zahlreiche Politiker meldeten sich zu Wort. Denn der 43-jährige Halevi ist Jude, die 37-jährige Aharisch ist Muslima, sie ist arabische Israelin, also Palästinenserin. Selbst Innenminister Arie Deri von der streng religiösen Schas-Partei wandte sich über die Medien an das prominente Paar: „Es tut weh, und es ist eine Privatsache, aber als Jude muss ich sagen: Ich bin gegen solche Sachen, weil wir das jüdische Volk bewahren müssen.“ Er empfehle Aharisch, zum Judentum überzutreten, denn „Mischehen“ gefährdeten den Fortbestand des jüdischen Volkes.“(37)
Und wieder war ein Wochenende erreicht, an dem Israel sieben Palästinenser an der Grenze zu Gaza erschoss und über 200 verwundete(38). Und Norman Paech veröffentlichte einen Artikel in Rubikon, in dem er erklärte, dass 70 Jahre Israel für sieben Jahrzehnte Besatzung und Apartheid-Regime stünden. „Mit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 begann für die Palästinenser die Katastrophe der Vertreibung — Nakba — die noch heute andauert. Die Erklärungen aller Parteien im deutschen Bundestag haben diese Barbarei bei ihren Glückwünschen an Israel völlig ausgeblendet. Sie sprechen vom stolzen Rückblick auf 70 Jahre Demokratie. Wohin wird es führen, wenn sich die Staaten und Regierungen weiterhin vor der hässlichen und gefährlichen Seite der Realität drücken?“
In den sozialen Medien tauchten wieder Berichte von Angriffen gegen palästinensische Bauern auf, mit denen Siedler verhinderten, dass diese ihre Olivenernte einsammeln konnten(39). „Videoaufnahmen zeigen, wie mehrere israelische Sieder palästinensische Bauern am Samstag angreifen, während die ihre Oliven ernten, auf einem Grundstück, das den Einwohnern des Dorfes Burin gehört“(40).
Mitte Oktober dann der Bericht über eine Soldatin der israelischen Grenztruppen, die verdächtigt wurde, aus Spaß auf Palästinenser geschossen zu haben. „Der Richter sagte, dass die Verdächtige auf den Mann, der ernsthaft verwundet war, „als obskure Art der Unterhaltung“ schoss.“(41).
Und die Situation im teilweise zerstörten, überbevölkerten, von Israel belagerten Gaza-Streifen verschlechterte sich monatlich. Haaretz berichtete: „Verschmutztes Wasser ist Grund für die Kindersterblichkeit in Gaza, ergibt eine Studie – Mit 43 olympischen Schwimmbecken voller Abwässer die täglich von Gaza aus in Richtung Israel und Ägypten fließen, sind nach Aussage der Forscher lokale Epidemien nur eine Frage der Zeit.“
Immer noch im Oktober erschütterte die Geschichte eines 22-jährigen Palästinensers, stellvertretend für ähnliche. Er wurde erschossen, als er versuchte, einen Soldaten mit einem Messer zu verletzen oder zu töten. Er wusste, dass er dafür sterben würde, dass das Haus seiner Familie zerstört werden würde. Offensichtlich war für ihn der Tod und die Kollektivbestrafung seiner Familie weniger schmerzhaft als die weitere Existenz unter der Besatzung Israels(42).
Kurz darauf wurde bekannt, dass israelische Siedler die christlichen Gräber Dayr Alrahpan im besetzten Teil Jerusalems geschändet hatten(43).
Auf den deutschen Nachdenkseiten erschien dann ein offener Brief von Dr. Abed Schokry, der lange Zeit in Deutschland gelebt hatte, und der über die Situation in Gaza berichtete(44).
„Eigentlich stehen wir nicht am Rande des Zusammenbruches, sondern befinden uns schon im Abgrund selbst, denke ich manchmal. Die Gehwege sind nun zu Geschäften geworden, denn die Geschäftsinhaber können sich die Mieten nicht mehr leisten und so kündigen sie die Mietverträge und stellen ihre Ware auf den Gehweg. Und sie verkaufen billiger. Die Preise für viele Produkte, die in Gaza hergestellt werden, sind gesunken, da die Menschen kaum Geld haben. Über eine Viertel-Millionen junge Menschen mit Universitätsabschluss sind in Gaza auf Arbeitssuche. Hinzu kommen die, die keinen Universitätsabschluss haben.“ Und Israel unterband nicht nur Reisen von und in den Gaza-Streifen, sondern auch Materiallieferungen und sogar Lebensmittellieferung, die die statistisch benötigte Kalorienzahl zum Überleben überstieg.
Und ein belgischer Professor verbreitete die Behauptung, dass Israel Palästinenser töte, um ihre Organe zu verwerten. Angeblich würden viele der aus Gaza in Haft genommenen Kinder wegen ihrer Organe entführt, schrieb Robrecht Vanderbeeken. Allerdings wurde der Teil des Artikels, in dem dies explizit behauptet wurde, später aus dem Artikel vom 18. Oktober entfernt. Auch wenn dies eine eher unglaubwürdige Erklärung für die Inhaftierung der Kinder und Jugendlichen durch Israel war, hat der Organhandel in dem Land eine anrüchige Vergangenheit. Im Jahr 2009 hatte der ehemalige Chef des israelischen Forensischen Institutes zugegeben, dass die Pathologen der Regierung Organe von getöteten Palästinensern geerntet hatten, ohne das Einverständnis der Familien einzuholen. Das israelische Militär hatte die Praxis für die 1990er Jahre bestätigt, aber erklärt, dass diese Praxis nicht länger verfolgt werden würde(45).
Derweil wurde trotz der Unterdrückung von Dissens durch den Inlandsgeheimdienst Israels immer wieder auch innerhalb von Israel Widerstand gegen die Besatzungspolitik sichtbar(46).
Die Politik der Einflussnahme mit allen Mitteln war nicht auf innerhalb Israel beschränkt. Eine Dokumentation von Al-Jazeera enthüllte, wie eine Israellobby erfolgreich im Ausland, diesmal in den USA, nicht nur mit erlaubten Tricks, sondern auch mit Schlägen unter die Gürtellinie und mit der Macht eines reichen Landes mit vielen Beziehungen agierte(47). Natürlich wurde die Ausstrahlung in den USA und auch weltweit zunächst behindert.
Gegen Ende Oktober drang der Bericht, nach dem Trinkwasser im Gaza-Streifen für die hohe Kindersterblichkeit verantwortlich war, auch in den deutschsprachigen Bereich(48).
Wissenschaftlich gesehen zogen ebenfalls Wolken über Israel auf. Fünf in Washington ausgestellte Schriftrollen-Fragmente erwiesen sich als Fälschungen. „Von wegen biblisches Alter: Fünf vermeintlich von den Schriftrollen vom Toten Meer stammende Fragmente haben sich jetzt als Fälschungen erwiesen. Die angeblich 2.000 Jahre alten Fundstücke mit Bibelzitaten waren im Museum of the Bible in Washington DC ausgestellt, hatten jedoch wegen einiger Merkmale Zweifel an ihrer Authentizität geweckt. Eine überprüfende Analyse an der deutschen Bundesanstalt für Materialforschung bestätigt diesen Verdacht nun.“(49)
Die immer stärker gewordene BDS-Bewegung, die sich für Einhaltung der Menschenrechte in Israel und den besetzten Gebieten einsetzte und für die Beachtung des Völkerrechtes, warnte vor eine Teilnahme an Israels „Runden Tischen der Apartheid“. Die Bewegung forderte, auf eine Teilnahme an einem Gastrofestival zu verzichten. „Das Festival wird gemeinsam mit Firmen veranstaltet, die in grobe Verletzungen palästinensischer und syrischer Menschenrechte verwickelt sind. Das Weingut von den Golan Höhen, die Dan Hotels, und die Argal Services Company operieren geschäftlich auf Territorien, die für illegale israelische Siedlungen reserviert wurden, erbaut auf gestohlenem Land.“(50)
Ein Brief der BDS-Bewegung an das EU-Parlament, enthielt die Bitte, die Normalisierung des Verhältnisses zu Israel zu beenden, weil es die Rechte der Palästinenser unterminiere. Der Brief blieb unbeantwortet(51). Was vermuten lässt, dass auch für das EU-Parlament weniger Menschen- und das Völkerrecht wichtig sind, wenn Mitgliedsinteressen betroffen sind. „Das Programm der Europäischen Union „israelische und palästinensische junge Führungskräfte im Europäischen Parlament“ versucht zynischerweise 70 Jahre palästinensischen Leidens unter Israels Regime der Siedler-Kolonisation, militärischen Besatzung und Apartheit auf einen „Konflikt“ zu reduzieren, der durch Dialog gelöst werden könnte“.
Am 24. Oktober wurde von zwei Tötungen durch Israels Sicherheitskräfte innerhalb von 24 Stunden berichtet. Der Artikel besagte: „Der erste Mord fand gestern in Gaza statt, als Montasser El-Baz (17 Jahre) mit scharfer Munition von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen wurde. Der unbewaffnete Junge hatte an den Demonstrationen „The Great Return March“ teilgenommen. (…) Der zweite Mordfall fand am Mittwochmorgen, nach einer Razzia Israels auf der Westbank in Tamun (Östlich von Tubas) statt. Kinder und ein junger Mann hatten den Berichten zufolge Steine auf bewaffnete Israelis geworfen, die gerade ihr Haus durchsucht hatten. Die Sicherheitskräfte antworteten mit scharfer Munition, töteten den 23-jährigen Mohammed Bisharat und verwundeten fünf weitere.“(52) Andere Berichte sprechen von 11 Verletzten(53).
Einen Tag später wurde bekannt, dass Besatzungskräfte Beduinenfamilien befahlen, mit dem Ausbau von ihren 17 Häusern aufzuhören. Ihnen drohte der Abriss, da sie angeblich ohne Genehmigung erbaut worden waren(54).
Das israelische Besatzungsrecht erlaubte es jedem Soldaten jederzeit jedes palästinensische Haus zu betreten, auch ohne einen Grund anzugeben. Er kann dort unbestraft tun, was ihm beliebt. Manchmal machten die Soldaten auch Fotos während Pausen von ihrer Arbeit(55).
Bildhinweis: olive tree, Israel, Palestine
Quellen und Anmerkungen: